1 Vorbemerkungen

 

Rz. 1

§ 95 BetrVG verfolgt verschiedene Ziele: Zum einen sollen die personellen Entscheidungen des Arbeitgebers durchschaubarer und transparenter gemacht sowie versachlicht werden. Zum anderen ist beabsichtigt, den Betriebsfrieden und eine gerechtere Behandlung der Arbeitnehmer dadurch zu fördern, dass Arbeitgeberentscheidungen an objektive Kriterien geknüpft, folglich also auch leichter überprüfbar werden. Willkürliche Arbeitgeberentscheidungen sollen auf diese Weise unmöglich gemacht werden.[1]

 

Rz. 2

Die dem Betriebsrat eingeräumten Mitwirkungsrechte wurden im Zuge der BetrVG-Novelle 2001 erheblich verstärkt, indem die Betriebsgröße in § 95 Abs. 2 Satz 1 BetrVG von 1000 auf 500 Arbeitnehmer reduziert worden ist. Die Regelung sieht vor, dass das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Auswahlrichtlinien, das bis zum Jahr 2001 erst in Betrieben mit mehr als 1000 Arbeitnehmern galt, seither aber bereits in Betrieben mit mehr als 500 Arbeitnehmern gilt. Die Absenkung der Arbeitnehmergrenzzahl trägt dem Umstand Rechnung, dass sich als Folge der Umstrukturierung der Unternehmen die alten großbetrieblichen Strukturen auflösen und an ihre Stelle mittelgroße oder kleinere Organisationseinheiten treten. Um zu verhindern, dass aufgrund dieser Entwicklung das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats leer läuft, ist die Grenzzahl abgesenkt worden.[2] Mit dem sog. Betriebsrätemodernisierungsgesetz ist nunmehr ein neuer Absatz 2a eingefügt worden.[3] Hierdurch soll sichergestellt werden, dass die Rechte des Betriebsrats bei der Festlegung von Auswahlrichtlinien zur Personalauswahl auch dann Anwendung finden, wenn diese Richtlinien ausschließlich oder mit Unterstützung von KI erstellt werden. Dies kann z. B. der Fall sein, wenn eine KI-Anwendung eigenständig oder innerhalb eines von einem Dritten vorgegebenen Rahmens Auswahlrichtlinien erstellt.[4]

[1] ErfK/Kania, § 95 Rz. 1.
[2] BT-Drucks. 14/5741 S. 49.
[3] Art. 1 Ziffer 20 des Gesetzes zur Förderung der Betriebsratswahlen und der Betriebsratsarbeit in einer digitalen Arbeitswelt (BGBl. I S. 1762 vom 17.6.2021).
[4] Vgl. BR-Drucks. 271/21 S. 20 f.

2 Auswahlrichtlinien

2.1 Allgemeines

 

Rz. 3

Unter Auswahlrichtlinien werden in der Regel abstrakt generelle Grundsätze verstanden, die allgemein und für bestimmte Arten von Tätigkeiten oder Arbeitsplätze festlegen, welche Voraussetzungen bei der Durchführung von personellen Einzelmaßnahmen vorliegen müssen oder nicht vorliegen dürfen und welche Aspekte bei ihnen im Hinblick auf die Arbeitnehmer weiter zu berücksichtigen sind oder außer Betracht zu bleiben haben.[1] Sinn und Zweck von Auswahlrichtlinien ist es festzulegen, unter welchen Voraussetzungen die jeweiligen personellen Einzelmaßnahmen erfolgen sollen, um die zugrunde liegende Personalentscheidung zu versachlichen und für die Betroffenen durchschaubar zu machen. Der Arbeitnehmer soll erkennen können, warum er und nicht ein anderer von einer ihm belastenden Personalmaßnahme betroffen wird oder warum eine günstigere Maßnahme nicht ihn, sondern einen anderen trifft (BAG, Beschluss v. 31.3.2005, 1 ABR 22/04[2]). Auch ein sog. Negativkatalog erfüllt die vorstehende Definition, sofern er festlegt, welche Gesichtspunkte bei der Durchführung einer Einzelmaßnahme nicht oder nach einer bestimmten Zeit nicht mehr berücksichtigt werden dürfen.

 
Praxis-Beispiel

Verbot der Vorlage von Krankenkassenunterlagen über zurückliegende krankheitsbedingte Fehlzeiten.

Umstritten ist, ob bei einem Anforderungsprofil wie einer detaillierten Arbeitsplatzbeschreibung – beispielsweise eines Telearbeitsplatzes – Auswahlrichtlinien angenommen werden können. Das BAG verneint dies mit der Folge, dass dem Betriebsrat diesbezüglich nur das Initiativrecht aus § 93 BetrVG, nicht aber das Mitbestimmungsrecht aus § 95 BetrVG zusteht (BAG, Beschluss v. 31.1.1984, 1 ABR 63/81[3]).

 

Rz. 4

Auswahlrichtlinien sollen als Entscheidungshilfen dazu beitragen, eine personelle Einzelmaßnahme mehr oder minder vorherzubestimmen und diese damit zu objektivieren. Die Auswahlrichtlinie kann und muss nicht sämtliche bei einer Einzelmaßnahme in Betracht kommenden Gesichtspunkte berücksichtigen, sondern kann sich auf die von den Betriebspartnern für wichtig erachtenden Aspekte beschränken.

[1] Fitting, § 95 Rz. 6.
[2] BB 2006, 784.
[3] NZA 1984, 51.

2.2 Rechtliche Qualifizierung und Form

 

Rz. 5

Sofern Arbeitgeber und Betriebsrat eine schriftliche Regelung über Auswahlrichtlinien treffen, so erfolgt dies regelmäßig in Form einer Betriebsvereinbarung, die Abschluss- und Beendigungsnormen enthält. Zwingend ist dies nicht. Das Gesetz verlangt für die Auswahlrichtlinie keine Schriftform. Eine Auswahlrichtlinie kann auch dann vorliegen, wenn der Arbeitgeber seine Personalentscheidungen nach einem bestimmten Auswahlsystem trifft, ohne dieses explizit niederzulegen. Anderenfalls könnte der Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 95 BetrVG leicht umgehen. Die Auswahlrichtlinie kann unabhängig davon auch einseitig vom Arbeitgeber erstellt werden, bedarf dann jedoch noch der Zustimmung des Betriebsrats. In dem...

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