Rz. 7

Dem Betriebsrat ist ein umfassendes Vorschlagsrecht und eine damit korrespondierende Beratungspflicht des Arbeitgebers betreffend Maßnahmen zur Förderung und Sicherung der Beschäftigung eingeräumt. Dieses Recht stellt – anders als z. B. § 87 BetrVG – kein echtes Mitbestimmungsrecht, sondern lediglich ein gegenständlich nicht beschränktes Vorschlagsrecht dar, das den Arbeitgeber dazu verpflichtet, die eingebrachten Vorschläge des Betriebsrats mit diesem zu beraten und – gegebenenfalls – seine Ablehnung zu begründen.[1] § 92a BetrVG enthält also kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, sondern lediglich eine Verpflichtung für den Arbeitgeber, mit dem Betriebsrat über Vorschläge zur Beschäftigungssicherung zu beraten. Das Verfahren nach § 92a BetrVG ist gegenüber Interessenausgleichsverhandlungen nach § 112 BetrVG nicht vorgreiflich. Betriebsänderungen nach §§ 111 ff. BetrVG können nicht über § 92a BetrVG verzögert oder blockiert werden (LAG Hamm, Beschluss v. 20.3.2009, 10 TaBV 17/09). Das Vorschlagsrecht des Betriebsrats ist unbegrenzt; die in § 92a Abs. 1 Satz 1 BetrVG genannten aufgeführten Themen sind als nicht abschließende Regelbeispiele formuliert.[2] So kann der Betriebsrat dem Arbeitgeber Vorschläge zur Sicherung und Förderung der Beschäftigung unterbreiten, um einer Verdrängung von regulären Arbeitsplätzen durch billige "1-EUR-Jobs" zu begegnen.[3]

 

Rz. 8

Die beispielhaft genannten Betriebsratsinitiativen betreffen teilweise Bereiche, die zur Unternehmensführung gehören (z. B. Arbeitsverfahren, Arbeitsabläufe). Damit sind Themen der unternehmerischen Dispositionsfreiheit berührt, die eigentlich der betrieblichen Mitbestimmung entzogen sind.[4] Das bisherige System der Betriebsverfassung wird – auch auf dem Hintergrund der klassischen Aufgabenteilung von Betriebsrat und Wirtschaftsausschuss – ohnehin auch bereits deshalb verlassen, weil dem Betriebsrat die Beschäftigungsförderung als Aufgabe übertragen wird, ihm also ein allgemeines, über den Betrieb hinausgehendes gesellschaftliches Ziel zugeteilt ist. Dem Gemeinwohl ist der Betriebsrat indes nicht verpflichtet; ihm ist das Mandat der Belegschaftsmitglieder übertragen, deren Interessen ausschließlich er zu vertreten hat.[5] Der Systembruch wird auch vor der Norm des § 74 Abs. 2 Satz 3 BetrVG deutlich, der dem Betriebsrat eine politische Betätigung im Betrieb untersagt. Politisch wird die Diskussion über die Beschäftigungsförderung aber unweigerlich, wenn der Betriebsrat Maßnahmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen vorschlagen darf, also zu einem Thema, welches ureigenes Terrain der Politik ist.[6]

 

Rz. 8a

In der Praxis wird das Verfahren nach § 92a BetrVG regelmäßig in einen Gesamtkonsultationsprozess in Personalanpassungssituationen eingebettet. Der Betriebsrat kann auf jegliche arbeitgeberseitigen Vorhaben zur Personalreduzierung oder Produktionseinschränkung mit eigenen Vorschlägen zur Beschäftigungssicherung oder -förderung reagieren, ggf. sogar in Form eines "vorsorglichen Rahmensozialplans". Ein entsprechendes Begehren kann z. B. wie folgt formuliert werden:

 
Praxis-Beispiel

Sehr geehrte Damen und Herren der Geschäftsführung,

wir nehmen zur Kenntnis, dass in verschiedenen Betriebsabteilungen mit einem Personalabbau zu rechnen ist. Unser Gremium ist der Auffassung, dass ein Personalabbau unbedingt zu vermeiden ist. Wir haben uns daher eingehend mit dem Thema beschäftigt und Vorschläge zur Beschäftigungssicherung erarbeitet. Wie Sie wissen, räumt § 92a BetrVG dem Betriebsrat das Recht ein, dem Arbeitgeber Vorschläge zur Sicherung und Förderung der Beschäftigung zu machen.

Der Betriebsrat möchte angesichts der hohen Unsicherheit für die Arbeitnehmer proaktiv diverse Vorschläge unterbreiten, um die Beschäftigungssicherheit im Unternehmen deutlich zu erhöhen. Hierzu gehören insbesondere folgende Aspekte:

  • Abbau von Überstunden
  • Kurzarbeit
  • Absenken der Arbeitszeit
  • Qualifizierung von betroffenen Arbeitnehmern

Bitte schlagen Sie uns zeitnah, spätestens jedoch bis zum [....] einen Termin für ein Gespräch zu diesem Thema vor.

Mit freundlichen Grüßen

Betriebsratsvorsitzende/r

Der Arbeitgeber hat bei ausreichender Belegschaftsgröße – nach Beratung mit dem Betriebsrat und dessen Beratern – eine eigene schriftliche Stellungnahme abzugeben, sofern er die Vorschläge des Gremiums – ganz oder teilweise – ablehnt. Die Beratung nach § 92a BetrVG kann dabei ohne Weiteres mit anderen Beratungen (z. B. nach §§ 106, 111 BetrVG) verbunden werden, wobei es sich empfiehlt, dies in einem Protokoll entsprechend festzuhalten.[7] Die Beratung muss nicht zu einem "gemeinsamen Ergebnis" führen und auch nicht "ergebnisoffen" geführt werden. Mit Abgabe der ordnungsgemäßen Stellungnahme des Arbeitgebers nach § 92a BetrVG wird man auch und gerade in dieser Situation die Beratungen nach § 106 bzw. § 111 BetrVG jedenfalls mit Blick auf das "Ob" der Maßnahme als abgeschlossen ansehen dürfen. Das "Wie", d. h. die Umsetzung und die insoweit geltenden Mitbestimmungsrechte bleiben unb...

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