Rz. 132

Voraussetzung der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ist zunächst, dass eine ausfüllungsbedürftige Rahmenvorschrift zur Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten bzw. über den Gesundheitsschutz besteht. Die Rahmenvorschrift muss dem Arbeitgeber einen Regelungsspielraum, d. h. die Auswahl unter mehreren möglichen Regelungen zur Erreichung des Sicherheitsziels lassen (BAG, Beschluss v. 6.12.1983, 1 ABR 43/81[1]). Dabei ist zu beachten, dass weitgefasste Tatbestände häufig durch speziellere Verordnungen oder ähnliche öffentlich-rechtliche Bestimmungen sehr genau konkretisiert werden. Es ist daher immer im Einzelfall zu prüfen, ob im Zusammenspiel der gesetzlichen Vorschriften wirklich noch ein Regelungsspielraum besteht oder letztlich nur noch die Möglichkeit bleibt, die gesetzlichen Vorgaben zu vollziehen. Im letzteren Fall fehlt es nicht nur an der Rahmenvorschrift; vielmehr ist nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG[2] ohnehin kein Platz für die Mitbestimmung, soweit gesetzliche Regelungen bestimmte Fragen abschließend entscheiden. Das Bundesarbeitsgericht (BAG, Beschluss v. 15.1.2002, 1 ABR 13/01[3]) formuliert das so: "Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG setzt eine Handlungspflicht des Arbeitgebers voraus, die aus Vorschriften des Arbeits- und Gesundheitsschutzes folgt und die wegen Fehlens einer zwingenden Vorgabe einer konkreten betrieblichen Regelung bedarf."

 
Praxis-Beispiel

Kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG besteht, wenn der Arbeitgeber beabsichtigt, eine Mobilfunkantenne auf dem Dach des Betriebsgebäudes zu installieren. Das Mitbestimmungsrecht greift erst dann ein, wenn der Arbeitgeber Maßnahmen des Gesundheitsschutzes aufgrund einer Rechtsvorschrift aktiv trifft oder zu treffen hat, nicht hingegen, wenn er eine Handlungspflicht bestreitet, weil er eine gesundheitliche Beeinträchtigung nicht sieht. Dementsprechend bleibt die Installation der Dachantenne mitbestimmungsfrei, so LAG Nürnberg, Beschluss v. 4.2.2003, 6 (2) TaBv 39/01[4], die auch Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechte aus den §§ 90, 91 BetrVG abgelehnt haben.

 

Rz. 133

Als "gesetzliche" Rahmenregelung kommen grundsätzlich förmliche Gesetze, Rechtsverordnungen und die von den Berufsgenossenschaften erlassenen Unfallverhütungsvorschriften in Betracht. Keine "gesetzlichen Vorschriften" sind indes die arbeitsschutzrechtlichen EG-Richtlinien. Sie können jedoch mittelbare Auswirkungen haben, wenn nationale arbeitsschutzrechtliche Vorschriften richtlinienkonform auszulegen sind (BAG, Beschluss v. 2.4.1996, 1 ABR 47/95[5]). Keine Rechtsnormen sind im übrigen DIN-Normen, GS-Standards sowie die allgemeinen Verwaltungsvorschriften der Arbeitsschutzbehörden oder Durchführungsanweisungen, Richtlinien, Sicherheitsregeln oder Merkblätter der Berufsgenossenschaften. Sie können allerdings einer sachgerechten inhaltlichen Ausfüllung der Rahmenvorschriften dienen. Der Arbeitgeber kann sich bei Erfüllung der Vorgaben in aller Regel darauf verlassen, seine gesetzlichen Verpflichtungen ebenfalls ordnungsgemäß erfüllt zu haben. Insoweit können die Regelungsbefugnisse der Betriebspartner (und ggf. das Ermessen der Einigungsstelle gem. § 76 Abs. 5 Satz 3 BetrVG) zumindest faktisch eingeschränkt sein.

 

Rz. 134

Das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG eröffnet dem Betriebsrat kein "Mitbeurteilungsrecht". Die Frage, ob der Arbeitgeber überhaupt zu (mitbestimmungspflichtigen) Regelungen verpflichtet ist, ist eine Rechtsfrage, deren Beantwortung sich aus den jeweiligen Arbeitsschutzvorschriften ergibt. Hinsichtlich der Frage, ob eine Gefahrenlage besteht, die Regelungen des Arbeitsschutzes erforderlich macht, steht dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nicht zu. Das gilt auch dann, wenn die Gefahrenlage in den einschlägigen Vorschriften durch unbestimmte Rechtsbegriffe umschrieben wird. Aus diesem Grund ist die Ermittlung der tatsächlichen Voraussetzungen einer Arbeitsschutzvorschrift nicht mitbestimmungspflichtig.[6]

 

Rz. 135

§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG verlangt für die Mitbestimmungspflichtigkeit einer Regelung, dass diese Sachvorschriften zu einer konkreten, objektiv feststellbaren Gefahr für Leben oder Gesundheit der Arbeitnehmer enthält und nicht nur bloße Belästigungen bekämpft. Auch das Bundesarbeitsgericht hat in einer Entscheidung diesen Aspekt genannt (BAG, Beschluss v. 2.4.1996, 1 ABR 47/95[7]). Es lässt – in Abgrenzung zum Mitbestimmungsrecht des § 91 BetrVG – eine Reaktion auf bloße Belastungen der Arbeitnehmer, die keine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit darstellen, nicht genügen.

 

Rz. 136

Gesetzliche Bestimmungen, die ausschließlich dem Schutz Dritter oder der Allgemeinheit dienen, sind keine tauglichen Rahmenvorschriften.[8] Das gilt z. B. für den Umweltschutz, soweit die einschlägigen Vorschriften nicht zugleich dem Arbeitsschutz dienen. Auch Maßnahmen, die in erster Linie andere Zwecke verfolgen und sich nur mittelbar auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz auswirken, wie etwa die ...

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