Rz. 78

Unter Überstunden wird allgemein die Arbeitszeit verstanden, die über die Arbeitszeit, die nach dem Tarifvertrag oder nach dem Einzelarbeitsvertrag zu leisten ist, hinausgeht. Bei flexibler Arbeitszeit ist eine Überstunde dann gegeben, wenn der Rahmen überschritten wird, der für die regelmäßige Arbeitszeit vereinbart oder festgelegt wurde. Geringfügige Überschreitungen zählen, soweit sie noch Bagatellcharakter haben, nicht dazu.

 

Rz. 79

Im Arbeitsverhältnis können Überstunden nur dann verlangt werden, wenn es eine entsprechende Vereinbarung im Arbeitsvertrag gibt oder ein Tarifvertrag die Voraussetzungen regelt. Darüber hinaus kann der Arbeitnehmer nach Treu und Glauben (als vertragliche Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis) zur Ableistung von Überstunden verpflichtet sein.

Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass eine befristete Änderung der Arbeitszeit nicht der Schriftform gem. § 14 Abs. 4 TzBfG bedarf, so das BAG, Urteil v. 3.9.2003, 7 AZR 106/03.[1] Der Arbeitnehmer kann also nicht unter Verweis auf die fehlende Schriftform erfolgreich auf ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis mit verlängerter Arbeitszeit klagen, nur weil die Schriftform für die vorübergehende Arbeitszeitverlängerung fehlt.

Unabhängig vom rechtlichen Anspruch greift die Mitbestimmung aber auch, wenn der Arbeitgeber freiwillig geleistete Überstunden duldend entgegennimmt (BAG, Beschluss v. 27.11.1990, 1 ABR 77/89[2]; BAG, Beschluss v. 16.7.1991, 1 ABR 69/90[3]). Eine – das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG verletzende – Duldung von Überstunden liegt vor, wenn hinreichende Anhaltspunkte für das Fehlen gebotener Gegenmaßnahmen durch den Arbeitgeber bestehen, um seine Untätigkeit als Hinnahme werten zu können. Einzelne oder besonderen einmaligen Umständen geschuldete Überschreitungen der betriebsüblichen Arbeitszeit sprechen für sich gesehen nicht dafür, dass der Arbeitgeber diese hinnimmt. Die positive Kenntnis des Arbeitgebers von Überstundenleistungen durch Arbeitnehmer ohne Ergreifen von Gegenmaßnahmen deutet regelmäßig auf deren Duldung hin (BAG, Beschluss v. 28.7.2020, 1 ABR 18/19).

 

Rz. 80

Liegen die individualrechtlichen Voraussetzungen erst einmal vor, so hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht, ob und in welchem Umfang Überstunden zu leisten sind. Ferner wird er an der Entscheidung beteiligt, nach welchen Grundsätzen die Arbeitnehmer, die die Überstunden ableisten sollen, auszuwählen sind. Ein Initiativrecht zur Erzwingung von Überstunden ist indes abzulehnen.[4] Das gilt zumindest, wenn der Betriebsrat gedenkt, auf diese Weise Neueinstellungen zu verhindern oder neue Verdienstmöglichkeiten zu schaffen. Etwas anderes kann gelten, wenn zur Sicherung der Betriebstätigkeit regelmäßig Überstunden notwendig werden und der Betriebsrat initiativ wird, um eine Dauerregelung zu erzwingen (BAG, Beschluss v. 13.6.1989, 1 ABR 15/88).

Die Entsendung von Leiharbeitnehmern in Betriebe, deren betriebsübliche Arbeitszeit die vom Leiharbeitnehmer vertraglich geschuldete Arbeitszeit übersteigt, ist laut BAG nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG mitbestimmungspflichtig, sofern die Entsendung für eine entsprechend verlängerte Arbeitszeit erfolgt. Das Mitbestimmungsrecht steht dem beim Verleiher gebildeten Betriebsrat zu (BAG, Beschluss v. 19.6.2001, 1 ABR 43/00[5]).

 

Rz. 81

Ein kollektiver Tatbestand, wie er für die Mitbestimmungsrechte grundsätzlich zu fordern ist[6], kann auch bei der Anordnung von Überstunden gegenüber einem einzelnen Arbeitnehmer gegeben sein, wenn die Anordnung nicht auf individuelle Gründe in der Person des Arbeitnehmers gestützt werden kann und kollektive Interessen berührt sind. Kollektive Interessen können z. B. darin liegen, dass andere Arbeitnehmer wegen den Hinzuverdienstmöglichkeiten ebenfalls Interesse an Überstunden haben.

 

Rz. 82

Das Thema Überstunden ist generell gut geeignet für Rahmenvereinbarungen mit dem Betriebsrat. Es ist allerdings zu beachten, dass eine Vereinbarung, die den Arbeitgeber lediglich pauschal zur Anordnung von Überstunden ermächtigt, das Mitbestimmungsrecht nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts nicht verbraucht (BAG, Beschluss v. 17.11.1998, 1 ABR 12/98[7]). Mindestvoraussetzung ist, dass in der Rahmenregelung die tatbestandlichen Voraussetzungen festgelegt werden, innerhalb derer sich der Arbeitgeber bei der Überstundenanordnung zu bewegen hat. Soweit dann noch gewisse Freiräume bei der Einzelfallregelung verbleiben, ist dies unschädlich und lässt das Mitbestimmungsrecht nicht wieder aufleben.

 
Praxis-Beispiel

Im Urteil des BAG, Urteil v. 3.6.2003, 1 AZR 349/02[8] findet sich ein geeignetes Beispiel für eine Betriebsvereinbarung für Überstunden. Das BAG hatte dazu entschieden, dass der Betriebsrat nicht in unzulässiger Weise auf sein Mitbestimmungsrecht verzichtet, wenn in der Betriebsvereinbarung zwar keine Voraussetzungen für die Anordnung von Überstunden im Einzelfall, aber detaillierte Regelungen zu deren Umfang und Verteilung vorgesehen sind. Eine derartige BV könne zudem...

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