Rz. 73

Das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ergänzt das Mitbestimmungsrecht gem. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG für den Sonderfall der vorübergehenden Verkürzung (Kurzarbeit) oder Verlängerung (Überstunden) der betriebsüblichen Arbeitszeit. Es enthält darüber hinaus ausnahmsweise auch die Komponente der Dauer der Arbeitszeit, die vom Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nicht erfasst wird.[1]

 

Rz. 74

Tatbestandliche Voraussetzung der Norm ist, dass es um die "vorübergehende" Veränderung der "betriebsüblichen" Arbeitszeit geht. "Vorübergehend" bedeutet, dass die Veränderung einen überschaubaren Zeitraum betrifft und nicht auf Dauer angelegt ist, sodass anschließend wieder der betriebsübliche Umfang der Arbeitszeit gelten soll (BAG, Beschluss v. 27.1.1998, 1 ABR 35/97[2] zur Frage der Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit und des Umfangs des Mitbestimmungsrechts, wenn der Arbeitgeber eine Mitarbeiterversammlung anordnet siehe BAG, Beschluss v. 13.1.2001, 1 ABR 33/00[3]; BAG, Beschluss v. 24.4.2007, 1 ABR 47/06[4]). Der Endzeitpunkt muss nicht feststehen, solange nur der Wille erkennbar wird, nach Fortfall des Anlasses zur regelmäßigen Arbeitszeit zurückzukehren. Maßgeblich ist die zum Zeitpunkt der Änderung bestehende Planung des Arbeitgebers (BAG, Beschluss v. 24.4.2007, 1 ABR 47/06[5]). Unerheblich ist es, wenn es nur um sehr kurze Veränderungen geht, z. B. die einmalige Sonderschicht oder der Arbeitsausfall für einen Tag aus besonderem Anlass. Demgegenüber kann die Änderung der Arbeitszeit nicht beliebig lange andauern. Bei der Festschreibung der geänderten Arbeitszeit auf mehrere Jahre kann von "vorübergehend" in aller Regel nicht mehr die Rede sein.

Eine vorübergehende Veränderung der Arbeitszeit ist insbesondere gegeben, wenn der Arbeitgeber die Änderung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt oder bis zur Erreichung eines bestimmten Zwecks befristet (BAG, Beschluss v. 24.4.2007, 1 ABR 47/06[6]).

 

Rz. 75

Die "betriebsübliche" Arbeitszeit ist dann betroffen, wenn es sich um die regelmäßige betriebliche Arbeitszeit der Belegschaft oder bestimmter Arbeitnehmergruppen handelt (BAG, Beschluss v. 21.11.1978, 1 ABR 67/76[7]). Maßgeblich ist der vertraglich geschuldete regelmäßige zeitliche Umfang der Arbeitsleistung (BAG, Beschluss v. 24.4.2007, 1 ABR 47/06[8]). Eine Änderung der betriebsüblichen Arbeitszeit setzt nicht voraus, dass sich zugleich auch die Vergütung ändert (BAG, Beschluss v. 3.5.2006, 1 ABR 14/05[9]). Eine tarifliche Jahresarbeitszeit ist in der Regel nicht gleichbedeutend mit der betriebsüblichen Arbeitszeit. Das Überschreiten der Jahresarbeitszeit als solches löst deshalb regelmäßig nicht das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus (BAG, Beschluss v. 11.12.2001, 1 ABR 3/01[10]). Soweit es um die Berücksichtigung individueller Wünsche einzelner Arbeitnehmer geht, scheidet die Mitbestimmung mangels kollektiven Tatbestands[11] aus. Das gilt z. B. für den Fall, dass ein Arbeitnehmer seinen Anspruch gem. § 8 TzBfG auf Herabsetzung seiner Arbeitszeit geltend macht, abgesehen davon, dass es in diesem Fall regelmäßig am vorübergehenden Charakter der Verkürzung der Arbeitszeit fehlen dürfte.

 
Praxis-Beispiel

Soll die jahrelang praktizierte Arbeitsfreistellung am Karnevalsdienstag für die Zukunft aufgehoben werden, liegt darin keine vorübergehende Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit i. S. d. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Das BAG, Beschluss v. 16.10.2004, 1 ABR 31/03 (A)[12], lässt dahinstehen, ob eine jahrelange Praxis, die Arbeit am Karnevalsdienstag ausfallen zu lassen, bereits zur "Betriebsüblichkeit" führe. Jedenfalls fehle es an der "vorübergehenden" Verlängerung, wenn der Brauch auf Dauer abgeschafft werden solle.

 

Rz. 76

Unabhängig davon, ob es um die Verlängerung oder Verkürzung geht, erstreckt sich das Mitbestimmungsrecht nicht auf die Vergütung, d. h. auf das während der Verkürzung oder Verlängerung zu zahlende Entgelt. Der Betriebsrat darf von Entgeltfragen seine Zustimmung nicht abhängig machen. Ein Widerruf des Arbeitsamts, Kurzarbeitergeld zu zahlen, lässt den Entgeltanspruch nur in Höhe des Kurzarbeitergelds aufleben, wenn die Kurzarbeit in einer Betriebsvereinbarung vereinbart war (BAG, Urteil v. 11.7.1990, 5 AZR 557/89[13]). Fehlt es indes an einer Betriebsvereinbarung (und damit an einer Rechtsgrundlage), so haben die Arbeitnehmer Anspruch auf das volle Arbeitsentgelt für die ausgefallene Arbeit. Das ergibt sich aus der Risikozuweisung nach § 615 BGB.

 

Rz. 77

Zur Ausübung des Mitbestimmungsrechts im Arbeitskampf siehe oben Rz. 44 ff.

[1] Siehe Rz. 60.
[2] NZA 1998, 835.
[3] NZA 2001, 976.
[4] NZA 2007, 818.
[5] NZA 2007, 818.
[6] NZA 2007, 818.
[7] AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 2.
[8] NZA 2007, 818.
[9] NZA 2006, 1240.
[10] DB 2002, 2002.
[11] Dazu Rz. 13.
[12] BAGE 112, 227.
[13] BB 1990, 2493.

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