Rz. 32

Die Mitbestimmungsrechte bestehen gem. § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Hier geht der Gesetzgeber davon aus, dass es der Teilhabe durch die Arbeitnehmervertretung nicht bedarf, weil zum einen das Gesetz oder der Tarifvertrag die Arbeitnehmer ausreichend schützt, und zum anderen dem Arbeitgeber auch kein Entscheidungsspielraum belassen bleibt, den es gemeinsam auszufüllen gilt. Sowohl die Gesetze[1] als auch die Tarifverträge[2] enthalten also Grenzen der Mitbestimmung. Daneben werden ungeschriebene Schranken der Mitbestimmung diskutiert.[3]

[1] Dazu unter Rz. 33.
[2] Dazu unter Rz. 35.
[3] Dazu unter Rz. 43.

2.1 Grenzen der Mitbestimmung durch Gesetz

 

Rz. 33

Gesetzliche Regelungen sind alle zwingenden Rechtsnormen, wie Bundesgesetze, Landesgesetze, Verordnungen oder autonomes Satzungsrecht öffentlich-rechtlicher Körperschaften. Verwaltungsakte und Anordnungen aufgrund gesetzlicher Vorschriften nehmen dem Arbeitgeber ebenso die Dispositionsmöglichkeiten und stehen daher den Gesetzen in ihrer Wirkung gleich. Soweit nur mittelbarer Zwang auf den Arbeitgeber ausgeübt wird – etwa bei behördlichen Anordnungen –, bleibt es beim Mitbestimmungsrecht. Allerdings haben die Betriebspartner die Vorgaben zu beachten. Nötigenfalls wird das Ermessen der Einigungsstelle entsprechend eingeschränkt.

Die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 BetrVG wird durch einen Verwaltungsakt eingeschränkt, soweit dieser den Arbeitgeber verpflichtet, eine bestimmte Maßnahme vorzunehmen oder zu unterlassen. Eine den Arbeitgeber bindende behördliche Entscheidung steht in ihren Auswirkungen auf das Mitbestimmungsrecht den in § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG genannten normativen Regelungen gleich. Wo für den Arbeitgeber nichts zu entscheiden ist, gibt es für den Betriebsrat nichts mitzubestimmen (BAG, Beschluss v. 11.12.2012, 1 ABR 78/11; behördlich angeordnete Videoüberwachung).

Da die Arbeitgeber nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet sind, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen, für die der Gesetzgeber nicht auf der Grundlage von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG eine von den Vorgaben in Art. 3, 5 und 6 Buchst. b dieser Richtlinie abweichende Regelung getroffen hat, steht dem Betriebsrat kein – über einen Einigungsstellenspruch durchsetzbares – Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Systems zu, mit dem die tägliche Arbeitszeit solcher Arbeitnehmer erfasst werden soll (BAG, Beschluss v. 13.9.2022, 1 ABR 22/21). Das schließt aber ein Initiativrecht des Betriebsrats zur Regelung der Methode der Arbeitszeiterfassung im Betrieb (elektronisch, händisch, beim Arbeitgeber oder durch Selbstaufzeichnung) nicht aus. Der Betriebsrat darf sein Initiativrecht nur nicht von vorneherein auf die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung verengen (BAG, Beschluss v. 13. 9.2022, 1 ABR 22/21, Rn. 67ff).

 
Praxis-Beispiel

Beispiele:

Dispositive (d. h. nicht zwingende, sondern nachgiebige) Rechtsvorschriften werden vom BAG allerdings nicht als Schranken anerkannt (BAG, Beschluss v. 13.3.1973, 1 ABR 16/72[5]).

 

Rz. 34

Ausgeschlossen wird das Mitbestimmungsrecht nur, "soweit" die gesetzliche Regelung besteht. Bleibt für den Arbeitgeber noch etwas zu entscheiden, so greift in diesem Umfang die Mitbestimmung – sofern sie tatbestandlich gegeben ist – ein.

 
Praxis-Beispiel

Das Ladenschlussgesetz belässt innerhalb seiner zeitlichen Grenzen den Betriebspartnern genügend Spielraum für die Mitbestimmung gem. § 87 Abs. 2 BetrVG[6].

[1] NZA 1988, 811.
[2] NZA 1988, 811.
[3] NZA 1987, 489.
[4] NZA 1988, 405.
[5] A. A. ErfK/Hanau/Kania, § 87 Rz. 11.
[6] S. aber auch Rz. 47 letzter Absatz.

2.2 Grenzen der Mitbestimmung durch Tarifvertrag

2.2.1 Voraussetzungen

 

Rz. 35

Eine tarifliche Regelung "besteht" im Sinne der Schrankenregelung des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG, wenn sie im Betrieb mit unmittelbarer und zwingender Wirkung gem. § 4 Abs. 1 TVG gilt. Es reicht die Tarifbindung des Arbeitgebers. Die Arbeitnehmer des Betriebs müssen aber unter den fachlichen und persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen. Ihre Tarifbindung wird allerdings nicht für erforderlich gehalten (BAG, Beschluss v. 24.2.1987, 1 ABR 18/85[1]). Der Tarifvertrag muss zudem in zeitlicher Hinsicht gelten. Ist er bereits ausgelaufen und befindet sich im Nachwirkungsstadium (§ 4 Abs. 5 TVG), reicht dies nicht (BAG, Urteil v. 13.7.1977, 1 AZR 336/75[2]; BAG, Beschluss v. 24.2.1987, 1 ABR 18/85[3]).

Der tarifgebundene Arbeitgeber ist dann aber betriebsverfassungsrechtlich verpflichtet, die tarifliche Vergütungsordnung ungeachtet der Tarifbindung der Arbeitnehmer im Betrieb anzuwenden, soweit deren Gegenstände der erzwingbaren Mitbest...

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