Rz. 18

Von der herrschenden Meinung[1] wird vertreten, dass eine Maßnahme des Arbeitgebers, die der notwendigen Mitbestimmung entbehrt, rechtswidrig sei (Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung). Einseitige rechtsgeschäftliche Maßnahmen (wie z. B. die Ausübung des Direktionsrechts) als auch einzelvertragliche Vereinbarungen seien infolge der Rechtswidrigkeit unwirksam. Tatsächliche Maßnahmen müssten auf Verlangen des Betriebsrats wieder rückgängig gemacht werden. Als Gegenposition wird vertreten, der Betriebsrat habe nur einen Anspruch auf gemeinsame Regelung der mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit. Dieser Anspruch könne notfalls vor der Einigungsstelle erzwungen werden. Bis dahin habe der Arbeitgeber aber die Möglichkeit, die Angelegenheit qua Direktionsrechts oder Einzelvertrags zu regeln.[2]

 

Rz. 19

Es würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen, diese dogmatische Grundfrage bis in alle Einzelheiten auszuleuchten. Der Schlüssel zur Frage der Rechtsfolge mitbestimmungswidrigen Arbeitgeberverhaltens liegt jedenfalls in der Ergründung des Zwecks der Mitbestimmung. Hier kommt es allein auf die Beschränkung der Macht des Arbeitgebers zur einseitigen Betriebsgestaltung und nicht auf eine möglicherweise bestehende vertragliche Imparität zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer an.[3] Deshalb stehen zunächst auch mitbestimmungswidrig zustande gekommene Vertragsabreden unter dem uneingeschränkten verfassungsrechtlichen Schutz der Vertragsautonomie. Eventuelle "Gleichgewichtsstörungen" der Vertragsautonomie, die möglicherweise den verfassungsrechtlichen Schutz der Privatautonomie in diesem Bereich selbst infrage stellen könnten, müssen ausgeblendet bleiben. Die Unwirksamkeitsfolge bei mitbestimmungswidrigem Verhalten ist deshalb als Eingriff in die Vertragsfreiheit nur dann gerechtfertigt, wenn sie zur Durchsetzung des Mitbestimmungszwecks erforderlich, geeignet und angemessen ist. Vor diesem Hintergrund reicht es nicht aus, die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung aus dem Teilhabegedanken abzuleiten, vielmehr bedarf sie der Einschränkung nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit. Anders gesagt: Die betriebsverfassungsrechtliche Unwirksamkeit mitbestimmungswidrigen Handelns schlägt nur dann auf die individualrechtliche Seite durch, wenn sonst dem Zweck der Mitbestimmung nicht Genüge getan werden kann.

 

Rz. 20

Aus diesen Grundsätzen folgt, dass die Unwirksamkeitsfolge auf jeden Fall das einseitige Verhalten des Arbeitgebers trifft. Insbesondere der einseitige Erlass von Betriebsnormen zur Gestaltung der Betriebsabläufe ist unter Missachtung der Mitbestimmungsrechte unwirksam. Zweiseitige Regelungen, d. h. vertragliche Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bleiben indes auch bei mitbestimmungswidrigem Verhalten des Arbeitgebers individualrechtlich wirksam.[4] Die Unwirksamkeitsfolge wäre unverhältnismäßig. Sie schösse über das Ziel hinaus, insbesondere dann, wenn die Vereinbarung eine Anspruchsgrundlage für den Arbeitnehmer darstellt. Demgegenüber sind nach Ansicht des BAG (BAG, Urteil v. 4.5.1982, 3 AZR 1202/79) derartige Vereinbarungen unwirksam. Der Arbeitgeber könne sich aber aus einem Vertrauensschutzgedanken heraus nicht auf die Unwirksamkeitsfolge berufen. Dagegen hat Richardi[5] zutreffend ausgeführt, dass der Vertrauensschutzgedanke gegenüber einer vorliegenden Vertragsbindung nachrangig ist. Die Vertrauenshaftung greift nur, wenn es an einer Willenserklärung fehlt. Der Haftungstatbestand, der vom BAG konstruiert werde, sei letztlich mit dem Tatbestand identisch, der die rechtsgeschäftliche Verpflichtungswirkung begründet: dem Leistungsversprechen des Arbeitgebers.

 

Rz. 21

Allerdings ist es dem Arbeitgeber verwehrt, sich bei vorangegangener Missachtung der Mitbestimmungsrechte auf die vertragliche Vereinbarung zu berufen. Die Unwirksamkeitsfolge schlägt insoweit durch, wie die vertragliche Abmachung eine Verpflichtung oder Belastung des Arbeitnehmers enthält.

 
Praxis-Beispiel

Hat der Arbeitgeber mit einigen Arbeitnehmern Mehrarbeit zu konkret festgelegten Zeiträumen gegen eine lukrative Vergütung vereinbart, ohne den Betriebsrat einzuschalten, so sind die Arbeitnehmer zur Ableistung der Mehrarbeit nicht verpflichtet. Kommt es aber zur Arbeitsleistung, können die Arbeitnehmer die vereinbarte Vergütung verlangen.

 

Rz. 22

Erhält der Betriebsrat im vorangegangenen Beispiel von der Vereinbarung Kenntnis, bevor es zur Ableistung der Mehrarbeit kommt, und erreicht er noch rechtzeitig eine Einigung mit dem Arbeitgeber, welche die Mehrarbeit in geringerem Umfang oder die Durchführung durch andere Mitarbeiter vorsieht, bleiben die vertraglichen Abreden dennoch wirksam. Das hat möglicherweise zur Folge, dass der Arbeitgeber die Leistung wegen der abweichenden Vereinbarung mit dem Betriebsrat – also aus betriebsverfassungsrechtlichen Gründen – nicht mehr in dem ursprünglich vorgesehenen Maße entgegennehmen kann, die Gegenleistung aber – aus individualrechtlichen Gründen – in vollem Umfang schuldig bleibt.

 

Rz. 23

...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge