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Die Missachtung der Mitbestimmungsrechte hat betriebsverfassungsrechtliche und individualrechtliche Folgen. Auf der betriebsverfassungsrechtlichen Ebene wird dem Betriebsrat von der Rechtsprechung ein allgemeiner Anspruch auf Unterlassung zugestanden, der wenn nötig auch im Wege der einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden kann (BAG, Beschluss v. 3.5.1994, 1 ABR 24/93[1]; BAG, Beschluss v. 23.7.1996, 1 ABR 13/96). Der zur Sicherung der Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 BetrVG entwickelte Unterlassungsanspruch steht nach seinem Zweck allein dem Betriebsrat zu, der Träger des konkreten Mitbestimmungsrechts ist. Für Angelegenheiten nach § 58 Abs. 1 BetrVG ist dies gerade der Konzernbetriebsrat. (BAG, Beschluss v. 17.5.2011, 1 ABR 121/09[2]). Dem örtlichen Betriebsrat steht aber auch bei Zuständigkeit des Konzern- oder Gesamtbetriebsrats der Unterlassungsanspruch nach § 23 Abs. 3 BetrVG zu, wenn dessen Voraussetzungen, insbesondere ein grober Verstoß des Arbeitgebers gegen das Mitbestimmungsrecht, gegeben sind. Darüber hinaus hat der Betriebsrat nach der Rechtsprechung bei Fortwirkung der belastenden mitbestimmungswidrigen Maßnahme einen Folgenbeseitigungsanspruch, der auf Rückgängigmachung gerichtet ist (BAG, Beschluss v. 16.6.1998, 1 ABR 68/97[3]). Ein derartiger Beseitigungsanspruch führt zu erheblichen Schwierigkeiten: Soweit der Arbeitgeber gezwungen wird, einen bestimmten (betriebsverfassungswidrigen) Zustand zu beseitigen, kann dies vor allem im Bereich des Arbeitsschutzes dazu führen, dass ein gesetzloser oder gar gesetzeswidriger Zustand eintritt, der erst nach unter Umständen langwierigem Einigungsprozess zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat wieder beseitigt werden kann. In der Zwischenzeit besteht für den Arbeitgeber die Gefahr, dass er für den gesetzwidrigen oder gesetzlosen Zustand haften muss oder sich gar strafbar macht. Die Folgen sind, gerade wenn es um Maßnahmen des Arbeitsschutzes geht, unabsehbar, denn hier droht der ganze Betrieb lahmgelegt zu werden, wenn der Arbeitgeber den gesetzlichen Vorschriften nicht mehr nachkommen kann.

 
Praxis-Beispiel

Der Arbeitgeber hat zur Montage von Rolltreppen eine Anweisung zur Vermeidung von Betriebsunfällen herausgegeben. Dabei hat er es versäumt, den Betriebsrat gem. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zu beteiligen. Der Betriebsrat ist letztlich mit seiner Forderung durchgedrungen, den Arbeitgeber zu verpflichten, das Handbuch mit den Arbeitsanleitungen einzuziehen (BAG, Beschluss v. 16. 6. 1998, 1 ABR 68/97[4]). Ohne diese Anweisungen kann der Arbeitgeber aber sein Kerngeschäft, die Montage von Rolltreppen, nicht durchführen.

Mit dem Folgenbeseitigungsanspruch wird das Risiko, sich über die Reichweite eines Mitbestimmungstatbestands zu irren, völlig auf den Arbeitgeber überwälzt. Das erscheint angesichts der Tatsache, dass der Arbeitgeber bei einem Irrtum schon damit belastet ist, die mitbestimmungswidrige Regelung für die Zukunft unter Mitwirkung des Betriebsrats umzugestalten, unverhältnismäßig.

In der Literatur wird zur Abmilderung ausgehend von den Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts zum Dauerschuldverhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat Folgendes vertreten: Wenn es möglich sein soll, dass aus § 2 Abs. 1 BetrVG i. V. mit den Mitbestimmungsrechten ein allgemeiner Unterlassungsanspruch und sogar ein Folgebeseitigungsanspruch abgeleitet werden kann, dann müsste es ebenso möglich sein, unter bestimmten Umständen ein vorläufiges Regelungsrecht des Arbeitgebers aus diesen Vorschriften zu entnehmen.[5] Die wechselseitigen Rücksichtspflichten träfen beide Betriebspartner gleichermaßen. Ebenso wie der Arbeitgeber verpflichtet sei, mitbestimmungsrechtliche Maßnahmen zu unterlassen, sei der Betriebsrat verpflichtet, seinen Teil dazu beizutragen, dass regelungsbedürftige Angelegenheiten auch geregelt werden, und zwar zeitlich so, dass der ordnungsgemäße Betriebsablauf und der wirtschaftliche Einsatz der Betriebsmittel nicht gestört werden, sondern das "Wohl des Betriebes" gewahrt bleibe.[6] Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen: Je nach Sachlage kann sich als logisches Gegenstück zum Unterlassungsanspruch des Betriebsrats ein Duldungsanspruch des Arbeitgebers ergeben. Für den Betriebsrat besteht dann ggf. die Nebenleistungspflicht, eine vorläufige Regelung einer Angelegenheit bis zum Abschluss des Mitbestimmungsverfahrens zu dulden. Individualrechtlich hätte das die Konsequenz, dass die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung[7] nicht anwendbar wäre und die Arbeitnehmer sich nicht auf eine individualrechtliche Unwirksamkeit der (vorläufigen) Maßnahme berufen könnten. Denkbar wäre auch, einen (vorläufigen) Zustimmungsanspruch gegen den Betriebsrat abzuleiten, der dann nach § 894 ZPO vollstreckt werden könnte.[8]

[1] NZA 1995, 40.
[2] NZA 2012, 112.
[3] NZA 1999, 49.
[4] NZA 1999, 49.
[5] Löwisch/Kröner, AR-Blattei 530.14.1 Anm. zu Nr. 57; ähnlich Bauer/Diller, ZIP 1995, 95, 100; s. auch Konzen, Festschrift für Wolfgang Zöllner: Zum 70. Geburtstag, Hrsg.: M. Lieb ...

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