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Von der Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG gibt es jedoch Ausnahmen.

  • Wenn eine umfassende Mitbestimmungspflicht der Maßnahme besteht, kann der Abschluss einer Betriebsvereinbarung jedenfalls bei Tarifüblichkeit in Betracht kommen (BAG, Urteil v. 13.8.2019, 1 AZR 213/18). So etwa in den Fällen des § 87 Abs. 1 BetrVG bspw. bei der Festlegung der den einzelnen Arbeitnehmern zu gewährenden Zeitlohnzulagen (LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 19.12.2007, 6 Sa 288/07) oder bei einer vorübergehenden Verlängerung der Arbeitszeit nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats über die Verlängerung der vorübergehenden Arbeitszeit begründet allerdings keine Annexkompetenz des Betriebsrats für Regelungen über die Vergütung der längeren Arbeitszeit (LAG Hamm, Urteil v. 9.8.2007, 15 Sa 896/07). Ist der mitbestimmungspflichtige Tatbestand jedoch abschließend in einem anwendbaren Tarifvertrag geregelt, greift die Regelungssperre uneingeschränkt.
  • Wenn lediglich eine Tarifüblichkeit besteht, können derartige Angelegenheiten durch Betriebsvereinbarung geregelt werden (BAG, Beschluss v. 24.2.1987, 1 ABR 18/85).[1]).

     

    Beispiel 1

    Es ist in einer Branche üblich, dass die Lage der Arbeitszeit in einem bestimmten Schichtenmodell durch Tarifvertrag geregelt wird. Dies ist gem. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ein mitbestimmungspflichtiger Tatbestand. Da hier nur eine Tarifüblichkeit der Regelung gegeben ist, dürfen die Betriebspartner eine Betriebsvereinbarung abschließen. Wäre der Tarifvertrag jedoch anwendbar, ginge dies nicht.

  • Wenn ein anwendbarer Tarifvertrag existiert, ist eine Betriebsvereinbarung nur dann nicht möglich, wenn die tarifliche Regelung die entsprechende Angelegenheit selbst so regelt, dass dem Arbeitgeber kein eigener Entscheidungsspielraum verbleibt, er vielmehr die Regelung nur vollziehen, ausführen bzw. anwenden muss.

     

    Beispiel 2

    Ein Tarifvertrag enthält Regelungen über die Rufbereitschaft. Deren Anordnung unterliegt ebenfalls gem. § 87 Abs. 1 Satz 2 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats. Wenn der Tarifvertrag die Einzelheiten der Anordnung der Rufbereitschaft genau regelt, bleibt aber kein Raum mehr für die Ausübung des Mitbestimmungsrechts. Treffen die Tarifvertragsparteien hingegen nur allgemeine Regeln, hat der Betriebsrat bei den Einzelfragen mitzubestimmen.

  • Betriebsvereinbarungen sind überdies zulässig, wenn der Tarifvertrag ergänzende Betriebsvereinbarungen erlaubt. Notwendig ist jedoch stets die ausdrückliche Zulassung, in der auch Einschränkungen vorgenommen werden können. Auch eine Öffnungsklausel eines unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrags kann die durch einen Flächenverbandstarifvertrag bewirkte Sperrwirkung aufheben und eine der Regelungssperre unterliegende Betriebsvereinbarung kann durch Zustimmungserklärungen der Tarifvertragsparteien Wirksamkeit erlangen (BAG, Urteil v. 13.8.2019, 1 AZR 213/18).
 

Beispiel 3

Der Tarifvertrag sieht ein Urlaubsgeld vor. Er enthält eine Öffnungsklausel, nach der die Betriebspartner Vereinbarungen über deren Kürzung bei erheblichen Fehlzeiten treffen können. Diese Öffnungsklausel kann dahin eingeschränkt werden, dass dem Arbeitnehmer ein gewisser Sockelbetrag verbleiben muss. Es ist daher stets sehr genau zu prüfen, ob die Betriebsvereinbarung noch unter den Geltungsbereich der Öffnungsklausel fällt.

Der Gesetzeswortlaut sieht nur ergänzende Vereinbarungen vor. Darunter sind insbesondere die Regelungen zu verstehen, die die Vorgaben des Tarifvertrags näher ausgestalten. Darüber hinaus besteht Einigkeit darüber, dass auch vom Tarifvertrag abweichende und ihn nicht lediglich ergänzende Betriebsvereinbarungen zulässig sind. Je nach Inhalt der Öffnungsklausel können die Betriebsvereinbarungen auch ungünstigere Regelungen enthalten als der Tarifvertrag.

 
Praxis-Beispiel

Der Tarifvertrag sieht eine Entgelterhöhung von 2,5 % vor. Weiter heißt es: "Hiervon kann durch Betriebsvereinbarung abgewichen werden, wenn gleichzeitig ein Beschäftigungssicherungsabkommen getroffen wird." Die Betriebspartner vereinbaren, dass es keine Entgelterhöhung gibt und der Arbeitgeber im Gegenzug für 18 Monate auf betriebsbedingte Kündigungen verzichtet. Eine solche Betriebsvereinbarung ist zulässig. Möglich ist es auch, Betriebe von der Entgelterhöhung auszunehmen, bei denen eine wirtschaftliche Notlage durch eine paritätisch besetzte Kommission festgestellt wird. Es gibt viele andere Formen von Öffnungsklauseln in Tarifverträgen.

Tarifvertragliche Öffnungsklauseln sind jedoch stets eng auszulegen. Im Zweifel wollen die Tarifvertragspartner ihre Regelungsmacht nicht delegieren. § 77 Abs. 3 BetrVG gilt ferner nach der ausdrücklichen Bestimmung in § 112 Abs. 1 BetrVG nicht für Sozialpläne. Außerdem lässt § 7 Arbeitszeitgesetz nunmehr auch zu, dass die Betriebspartner unter bestimmten Voraussetzungen von der gesetzlichen Regelung über die Dauer der Arbeitszeit durch Betriebsvereinbarung abweichen und eine tarifliche Regelung für den Betrieb übernehmen können. Nach der gege...

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