Rz. 53

§ 10 AGG lässt unter den dort genannten Voraussetzungen eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zu. Die Generalklausel des § 10 Sätze 1 und 2 AGG bestimmt, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sind. Darüber hinaus muss das angewandte Mittel angemessen und erforderlich sein (EuGH, Urteil v. 16.10.2007, NZA 07, 1219; BAG, Urteil v. 22.1.2009, 8 AZR 73/08[1]; BAG, Urteil v. 15.12.2016, 8 AZR 454/15). Das ist der Fall, wenn das Mittel es erlaubt, das Ziel, das mit der unterschiedlichen Behandlung verfolgt wird, zu erreichen, ohne dass die legitimen Interessen der wegen ihres Alters benachteiligten Personen übermäßig beeinträchtigt werden. Nach der Gesetzesbegründung kommt es bei der Beurteilung der "Legitimität eines Ziels" auf die "fachlich-beruflichen Zusammenhänge aus der Sicht des Arbeitgebers oder der Tarifparteien" an.

Aber auch Ziele, die über die Situation des einzelnen Unternehmens oder einer Branche hinausgehen und von allgemeinem Interesse sind (z. B. Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt etc.) können eine Ungleichbehandlung rechtfertigen (EuGH, Urteil v. 16.10.2007, C-411/05; BAG, Urteil v. 20.6.2013, 2 AZR 295/12).

Das BAG hat beispielsweise im Rahmen des Kündigungsschutzes entschieden (BAG, Urteil v. 6.11.08, 2 AZR 701/07), dass die in einem Interessenausgleich mit Namensliste zugrunde liegende Punktetabelle, die Sozialpunkte nach dem Lebensalter zuteilt und eine Altersgruppenbildung vorsieht, zwar eine an das Alter anknüpfende unterschiedliche Behandlung darstellt, aber gemäß § 10 Abs. 1 AGG gerechtfertigt ist. Begründet hat das BAG dies damit, dass die Zuteilung von Alterspunkten zur Berücksichtigung von Chancen auf dem Arbeitsmarkt und nicht zu einer Überbewertung des Lebensalters führe. Bei Massenkündigungen aufgrund einer Betriebsänderung ist in der Regel davon auszugehen, dass die Altersgruppenbildung legitime Ziele verfolgt, um eine auch altersmäßig ausgewogene Personalstruktur zu erhalten (so auch BAG, Urteil v. 12.3.2009[2]).

Die Generalklausel des § 10 AGG gilt für alle individual- und kollektivrechtlichen Regelungen, also Arbeitsverträge, Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen etc. Grundsätzlich können die Rechtsanwender, also die Tarifvertragsparteien, die Arbeitgeber und der Betriebsrat selbst festlegen, ob, für welche Bereiche und in welchem Umfang sie Ausnahmen vom Verbot der Altersdiskriminierung zulassen wollen. Dabei haben sie einen weiten Ermessensspielraum. Gemäß § 10 Satz 2 AGG ist allerdings im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen, ob die eingesetzten Mittel das angestrebte Ziel tatsächlich fördern können und die Belange der benachteiligten Altersgruppen nicht unverhältnismäßig stark vernachlässigen. Es ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob die Ungleichbehandlung durch das verfolgte Ziel sachlich gerechtfertigt ist ist und die eingesetzten Mittel zur Zielerreichung verhältnismäßig sind (BAG, Urteil v. 22.1.2009, 8 AR 73/08[3]).

 

Rz. 54

§ 10 Satz 3 Nrn. 1–6 AGG enthält eine ganze Reihe von Gründen, aus denen eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters gerechtfertigt ist:

  • Die Förderung der beruflichen Eingliederung und den Schutz bestimmter Gruppen von Beschäftigten, die die Festlegung besonderer Zugangsbedingungen als auch Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen erlaubt. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist es allerdings unzulässig, Personen, die ihre Berufserfahrung vor Vollendung des 18. Lebensjahres erworben haben, ungünstiger zu behandeln als Personen, die nach Vollendung des 18. Lebensjahres eine gleichartige Berufserfahrung vergleichbarer Länge erworben haben (EuGH, Urteil v. 18.6.2009, C 88/08[4]). Nach Ansicht des EuGH ist dies eine unzulässige Ungleichbehandlung aus Gründen des Alters. Die gesetzliche Vorgabe in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG, das Lebensalter als eines von mehreren Kriterien bei der Sozialauswahl zu berücksichtigen, stellt keine unzulässige Diskriminierung des Alters dar (BAG, Urteil v. 15.12.2011, 2 AZR 42/10).
  • Die Festlegung von Mindestanforderungen an das Lebensalter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter als Grund für eine Differenzierung bei der Einstellung oder der Gewährung von Vorteilen. Danach kann es gestattet sein, ein Mindestalter etwa aus Gründen der Berufserfahrung oder der Gesundheit vorzusehen (z. B. bei Piloten, Fluglotsen, Zugführern etc.). Eine tarifvertragliche Regelung für Piloten, wonach ihr Arbeitsverhältnis automatisch mit Erreichen des 60. Lebensjahres endet, verstößt allerdings nach der Rechtsprechung des BAG (BAG, Urteile v. 18.1.2010, 7 AZR 211/09, 112/08; BAG, Urteil v. 14.3.2012, 7 AZR 480/09) gegen das Benachteiligungsverbot wegen Alters und ist daher nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Damit weicht das BAG von seiner bisherigen Rechtsprechung (z. B. BAG, Urteil v. 21.7.2004, 7 AZR 589/03) ab. Nach Ansicht des BAG ist ein Flugverbot für Piloten ab 60 Jahre nicht erforderlich, um das Z...

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