Rz. 46

Voraussetzung für eine abweichende tarifvertragliche Regelung ist, dass alle Betriebe des Unternehmens von dem Tarifvertrag erfasst werden.[1] Hierzu bedarf es grundsätzlich der Tarifzuständigkeit der vertragsschließenden Gewerkschaft für sämtliche Betriebe. Fallen die Betriebe unter mehrere fachliche tarifliche Geltungsbereiche, für die unterschiedliche Gewerkschaften zuständig sind, kommt ein mit den mehreren Gewerkschaften geschlossener mehrgliedriger TV in Betracht.[2]

 

Rz. 47

Ein Tarifvertrag nach § 47 Abs. 4 TVG enthält Rechtsnormen über betriebsverfassungsrechtliche Fragen und gilt daher nach §§ 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 TVG mit normativer Wirkung für alle Betriebe, deren Arbeitgeber tarifgebunden ist. Dagegen ist die Tarifgebundenheit der Arbeitnehmer ohne Bedeutung (BAG, Beschluss v. 25.5.2005, 7 ABR 10/04[3]). Fraglich ist, wie zu verfahren ist, wenn im Betrieb mehrere tarifzuständige Gewerkschaften vertreten sind. Aus § 4a Abs. 2 Satz 1 TVG ergibt sich, dass der Arbeitgeber mit mehreren Gewerkschaften unterschiedliche Tarifverträge nach § 47 Abs. 4 BetrVG abschließen kann. Die Gewerkschaft muss aber in allen Betrieben vertreten und tarifzuständig sein. Eine beim Abschluss mehrerer Tarifverträge auftretende Tarifkonkurrenz ist wie bei Tarifverträgen nach § 3 Abs. 1 BetrVG durch die Anwendung von § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG nach dem Mehrheitsprinzip zu lösen.[4]

 

Rz. 48

Streitig ist, ob Tarifverträge nach § 47 Abs. 4 BetrVG durch Arbeitskämpfe erzwingbar sind. Die überwiegende Meinung im Schrifttum sieht hierin Tarifverträge über betriebsverfassungsrechtliche Normen, die unter den Schutzbereich der "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" des Art. 9 Abs. 3 GG fallen und daher Gegenstand von Arbeitskampfmaßnahmen sein können.[5] Nach der Gegenmeinung eröffnet § 47 Abs. 4 BetrVG nur die Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien zur sachgerechten Ordnung betriebsverfassungsrechtlicher Mitbestimmung und nicht zur tarifautonomen Optimierung der Mitgliederinteressen, sodass diese Regelungen nur freiwillig abgeschlossen werden können.[6] Allerdings dürfte es sich bei dieser Fragestellung um ein akademisches Problem handeln, da es sehr fraglich erscheint, dass eine Gewerkschaft ausreichend streikbereite Mitglieder für dieses Thema mobilisieren kann.

 

Rz. 49

Eine tarifliche Regelung nach § 47 Abs. 4 BetrVG kann sowohl im Rahmen eines Haustarifvertrags als auch eines Verbandstarifvertrags geschlossen werden. Dabei müssen alle Betriebe des Unternehmens vom Tarifvertrag erfasst werden. Eine Ausdehnung des Tarifvertrags durch eine Betriebsvereinbarung ist nicht möglich. Der Gesamtbetriebsrat kann in diesem Fall aber eine für alle Betriebe geltende Betriebsvereinbarung schließen, da der Tarifvertrag keine Wirkungen entfaltet und daher der Betriebsvereinbarung nicht entgegensteht.[7]

 

Rz. 50

Nach Ablauf der tariflichen Regelung hat diese keine Nachwirkung, da § 47 Abs. 4 BetrVG keinen Hinweis auf § 4 Abs. 5 TVG enthält.[8]

 

Rz. 51

Ein Tarifvertrag nach § 47 Abs. 4 BetrVG hat innerhalb seines Geltungsbereichs stets Vorrang vor einer Regelung durch Betriebsvereinbarung, auch wenn es sich um eine gemäß § 47 Abs. 5 und 6 BetrVG erzwingbare Betriebsvereinbarung handelt.[9]  Dies ergibt sich aus der normativen Wirkung des Tarifvertrags gemäß §§ 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 S. 2 TVG und folgt auch aus dem Wortlaut des § 47 Abs. 5 S. 1 BetrVG ("besteht keine tarifliche Regelung nach Absatz 4"). Daher löst eine spätere tarifliche Regelung eine bestehende Betriebsvereinbarung ab.

[1] Richardi//Annuß, 16. Aufl. 2018, § 47 BetrVG, Rn. 48; Fitting, 30. Aufl. 2020, § 47 BetrVG Rz. 49.
[3] NZA 2006, 215, 218; ErfK/Koch, 20. Aufl. 2020, § 47 BetrVG Rz. 10.
[4] Fitting, 30. Aufl. 2020, § 47 BetrVG Rz. 51; ErfK/Koch, 20. Aufl. 2020, § 47 BetrVG Rz. 10.
[5] Richardi/Annuß 16. Aufl. 2018, § 47 BetrVG Rz. 50; DKKW/Trittin, § 47 BetrVG Rz. 117;.
[6] Fitting, 30. Aufl. 2020, § 47 BetrVG Rz. 52.
[7] Fitting, 30. Aufl. 2020, § 47 BetrVG Rz. 50.
[8] Im Gegensatz zu § 117 Abs. 2 Satz 3 BetrVG; Fitting, 30. Aufl. 2020, § 47 BetrVG Rz. 54.

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