Rz. 13

Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 BetrVG finden die regelmäßigen, zusätzlichen und die auf Wunsch des Arbeitgebers einberufenen Betriebsversammlungen sowie Wahlversammlungen nur dann nicht während der Arbeitszeit statt, wenn die Eigenart des Betriebs eine andere Regelung zwingend erfordert. Da § 44 Abs. 1 Satz 1 BetrVG eine Schutzbestimmung zugunsten der Arbeitnehmer ist, ist die Anberaumung der Betriebsversammlung außerhalb der Arbeitszeit nur unter sehr strengen Voraussetzungen zulässig (ArbG Wuppertal, Beschluss v. 9.7.1996, 8 BVGa 12/96).

 

Rz. 14

Unter der Eigenart des Betriebs ist – wie im Rahmen von § 42 Abs. 1 Satz 3 BetrVG – in erster Linie die organisatorisch-technische Besonderheit des konkreten Einzelbetriebs zu verstehen (BAG, Beschluss v. 9.3.1976, 1 ABR 74/74[1]; LAG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 28.10.1996, 1 TaBV 38/96[2]). Es muss eine technisch untragbare Störung eines eingespielten Betriebsablaufs eintreten, die nur in diesem Betrieb oder nur in bestimmten Arten von Betrieben auftreten und zu unangemessen betrieblichen und wirtschaftlichen Beeinträchtigungen führen kann (LAG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 28.10.1996, 1 TaBV 38/96[3]; ArbG Berlin, Beschluss v. 11.12.1972, 4 BV 2/72[4]).

 
Hinweis

Arbeitet ein Produktionsbetrieb in einer zeitlich straffen Just-in-Time-Organisation und sind mit seinen Kunden für die nicht termingerechte Herstellung der Ware hohe Vertragsstrafen vereinbart, die bei einer Betriebsversammlung während der Arbeitszeit verwirken, so handelt es sich nicht um eine organisatorisch-technische Besonderheit des Einzelbetriebs, sondern um bloße wirtschaftliche Zumutbarkeitserwägungen (ArbG Darmstadt, Beschluss v. 7.5.2009, 7 BVGa 13/09).

 

Rz. 15

Aus dem Wortlaut des Gesetzes, das ausdrücklich auf die Erfordernisse des Betriebs abstellt, wird deutlich, dass besondere Umstände gegeben sein müssen, die in der technischen Organisation des Betriebes begründet sind. Bloße wirtschaftliche Zumutbarkeitserwägungen zählen daher grundsätzlich nicht zu den zwingenden Erfordernissen (BAG, Beschluss v. 9.3.1976, 1 ABR 74/74[5]; LAG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 28.10.1996, 1 TaBV 38/96[6]). Auch bloße Misshelligkeiten und Unbequemlichkeiten, die generell in dem Betrieb durch eine Betriebsversammlung während der Arbeitszeit entstehen, müssen vom Arbeitgeber grundsätzlich geduldet werden (LAG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 28.10.1996, 1 TaBV 38/96[7]; ArbG Berlin, Beschluss v. 11.12.1972, 4 BV 2/72[8]). Insoweit muss daher in angemessenem Rahmen der Arbeitgeber auch einen Ausfall der Produktion während der Zeit der Betriebsversammlung in Kauf nehmen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen, die allein auf dem Produktionsausfall während der Dauer der Betriebsversammlung beruhen, können keine Ausnahme von § 44 Abs. 1 Satz 1 BetrVG rechtfertigen (ArbG Berlin, Beschluss v. 11.12.1972, 4 BV 2/72[9]; ArbG Bielefeld, Beschluss v. 20.4.1990, 2 BVGa 12/90[10]; ArbG Darmstadt, Beschluss v. 7.5.2009, 7 BVGa 13/09). Etwas anderes kann nur in Fällen einer "absoluten wirtschaftlichen Unzumutbarkeit" gelten; diese ist nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen, hier insbesondere des § 2 Abs. 1 BetrVG, erheblich (BAG, Beschluss v. 9.3.1976, 1 ABR 74/74[11]; LAG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 28.10.1996, 1 TaBV 38/96[12]; ArbG Darmstadt, Beschluss v. 7.5.2009, 7 BVGa 13/09).

 
Praxis-Beispiel

In Betracht kommen also solche besondere Ausnahmefälle etwa:

  • ungewöhnliche Produktionsausfälle,
  • Scheitern eines Großauftrags,
  • außergewöhnliche Umsatzeinbußen.
 

Rz. 16

In all diesen Fällen müssen aber ganz besondere Umstände vorliegen, die eine "absolute wirtschaftliche Unzumutbarkeit" begründen. Eine "absolute wirtschaftliche Unzumutbarkeit" ist dabei nur unter äußerst strengen Voraussetzungen anzunehmen. Da in allen Produktionsbetrieben eine Betriebsversammlung während der Arbeitszeit dazu führt, dass die Produktion für die Zeit der Betriebsversammlung ruht, wird man hierfür fordern müssen, dass bei Durchführung der Betriebsversammlung während der Arbeitszeit ein wirtschaftlich ruinöser Schaden entsteht. Dies kann etwa bei einer drohenden Vertragsstrafe von rund 90.000,00 EUR nicht ohne Weiteres angenommen werden (ArbG Darmstadt, Beschluss v. 7.5.2009, 7 BVGa 13/09).

 
Hinweis

Führt die während der Arbeitszeit abgehaltene Betriebsversammlung aufgrund organisatorischen Verflechtungen zur Stilllegung der Produktion für einen ganzen Tag, ist eine untragbare Störung des Betriebsablaufs jedoch im Regelfall anzunehmen (BAG, Beschluss v. 26.10.1956 1 ABR 26/54[13]; LAG Saarbrücken, Urteil v. 21.12.1960, Ta 6/58[14]).

 

Rz. 17

Keineswegs ist aber das Stattfinden der Betriebsversammlung während der Öffnungszeiten eines Ladenlokals wegen der Eigenart des Betriebs ausgeschlossen (BAG, Beschluss v. 9.3.1976, 1 ABR 74/74[15]). Vielmehr stellt bei Einzelhandelsgeschäften und Warenhäusern die Ladenöffnungszeit gerade die betriebliche Arbeitszeit dar, in der nach der gesetzlichen Bestimmung die Betriebsversammlung stattzufinden hat (BAG, Beschluss v....

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