Rz. 10

Mit den 2001 in Kraft gesetzten Änderungen der Betriebsverfassungsorganisation in § 1 BetrVG, § 3 BetrVG, § 4 BetrVG haben sich mögliche Zweifelsfragen, ob und welche organisatorische Einheit betriebsratsfähig ist, gegenüber dem früheren Rechtszustand noch vergrößert. Der Gesetzgeber hat dem Rechnung getragen und das arbeitsgerichtliche Entscheidungsverfahren des § 18 Abs. 2 BetrVG ausgeweitet. Durch arbeitsgerichtliche Entscheidung kann nun geklärt werden, ob (irgendeine) betriebsratsfähige Organisationseinheit vorliegt. Das Arbeitsgericht kann auf diesem Verfahrenswege um Entscheidung angerufen werden,

  • ob eine streitige Einheit überhaupt einen Betrieb im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne darstellt,
  • wie weit ein Betrieb reicht,
  • ob ein gemeinsamer Betrieb im Sinne des § 1 Abs. 2 BetrVG gebildet wurde,
  • ob (wirksame) vom Betriebsverfassungsgesetz abweichende Regelungen der Betriebsorganisation durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung nach § 3 BetrVG vereinbart wurden oder
  • ob eine Einheit einen Betriebsteil und Kleinstbetrieb im Sinne des § 4 BetrVG darstellt.

Diese weite Interpretation vertritt die Rechtsprechung seit langer Zeit (s. BAG, Beschluss v. 25.11.1980, 6 ABR 62/79, BAG, Beschluss v. 29.1.1987, 6 ABR 23/85, und aus jüngerer Zeit z. B. LAG Hamm, Beschluss v. 14.10.2011, 10 TaBV 27/11).

 

Rz. 11

Das Arbeitsgericht entscheidet im Beschlussverfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BetrVG und §§ 80 ff. ArbGG. Zuständig ist das Gericht, in dessen Bezirk der umstrittene Betrieb oder Betriebsteil liegt (§ 82 ArbGG). Den Antrag auf arbeitsgerichtliche Entscheidung können der Arbeitgeber, jeder beteiligte Betriebsrat, jeder beteiligte Wahlvorstand und jede im Betrieb vertretene Gewerkschaft stellen.[1] Auch ein Gesamt- (oder Konzern-) Betriebsrat ist antragsbefugt, wenn seine Zuständigkeit bestritten wird (BAG, Beschluss v. 22.6.2005, 7 ABR 57/04). Endet im Laufe eines Rechtsstreites das Amt des beteiligten Betriebsrates, so tritt der nächste gewählte Betriebsrat in die verfahrensmäßige Position des früheren Betriebsrates ein (BAG, Beschluss v. 13.2.2013, 7 ABR 36/11). Endet allerdings ein Betriebsrat, ohne dass ein nachfolgender gewählt wurde, so ist ein noch laufendes Beschlussverfahren als unzulässig abzuweisen (LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 1.9.2009, 3 TaBV 14/09).

Das Verfahren ist auch außerhalb der Betriebsratswahl statthaft (BAG, Beschluss v. 23.11.2016, 7 ABR 3/15; BAG, Beschluss v. 17.8.2005, 7 ABR 62/04). Diese früher zweifelhafte Frage wurde durch das Gesetz zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vom 23. Juli 2001[2] geklärt, indem die Worte "vor der Wahl" gestrichen wurden (" ... oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft vor der Wahl eine Entscheidung des Arbeitsgerichts beantragen."[3]).

 

Rz. 12

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts bindet bei Rechtskraft für alle betriebsverfassungsrechtlichen Fragen, in denen die Zweifelsfrage wieder auftaucht. Die Bindungswirkung hält an, bis sich die Tatsachen, die der Entscheidung des Arbeitsgerichts zugrunde liegen, ändern (BAG, Beschluss v. 27.1.1981, 6 ABR 68/79; BAG, Beschluss v. 29.1.1987, 6 ABR 23/85; BAG, Beschluss v. 7.8.1986, 6 ABR 57/85). Die rechtskräftige Entscheidung bindet auch in Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (BAG, Urteil v. 9.8.1991, 1 AZR 488/90 zu einem Streit über einen Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG). Sie bindet jedoch nur, soweit das Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch betriebsverfassungsrechtliche Normen bestimmt wird; hinsichtlich des kündigungsschutzrechtlichen Betriebsbegriffs der §§ 1, 23 KSchG bindet eine solche Entscheidung nicht (BAG, Urteil v. 18.10.2006, 2 AZR 434/05).

Eine rechtskräftige Entscheidung, dass eine Betriebsstätte nicht betriebsratsfähig sei, lässt auch das Rechtsschutzinteresse einer (parallel betriebenen) gerichtlichen Ersetzung des Wahlvorstands nach § 18 Abs. 1 S. 2 BetrVG entfallen (BAG, Beschluss v. 1.12.2004, 7 ABR 27/04).

 

Rz. 13

Eine rechtskräftige Entscheidung, dass ein Betriebsteil selbständig ist, berührt die Wirksamkeit einer vorher durchgeführten Betriebsratswahl nicht. Der Betriebsrat verliert aber grundsätzlich seine Zuständigkeit für den Betriebsteil, wenn nicht ein Beschluss nach § 4 Abs. 1 BetrVG gefasst wurde. Wird rechtskräftig festgestellt, dass ein bisher als selbstständig behandelter Betriebsteil dem Hauptbetrieb zuzuordnen ist, so erstreckt sich die Zuständigkeit des Betriebsrats künftig auf diesen Betriebsteil. Bei Feststellung eines gemeinsamen Betriebes bleiben die bisher für die einzelnen Unternehmen gewählten Betriebsräte im Amt, für den gemeinsamen Betrieb kann ein zusätzlicher Betriebsrat gewählt werden, wenn für die dortigen Arbeitnehmer noch kein Betriebsrat zuständig ist.[4]

Während im Normalfall eine Verkennung des Betriebsbegriffs lediglich zur Anfechtbarkeit einer Betriebsratswahl führt, ist eine Betriebsratswahl, die unter Missachtung der gerichtlichen Entscheidung nach § 18 Abs. 2 BetrVG durchgeführt wird, nichtig...

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