Rz. 16

Jede außerordentliche Kündigung von Funktionsträgern, mit Ausnahme der in § 15 Abs. 3a KSchG genannten Personen, also auch eine außerordentliche Änderungskündigung, bedarf der Zustimmung des Betriebsrats (§ 103 Abs. 1 KSchG). In § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG sind ohne eigenständige Definition die in § 626 Abs. 1 BGB verwandten Formulierungen übernommen worden. Da der Gesetzgeber in § 626 BGB geregelt hat, unter welchen Voraussetzungen eine "Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist" gerechtfertigt ist, sind die in § 626 BGB enthaltenen und daraus abgeleiteten Regeln zur Zulässigkeit einer außerordentlichen Kündigung auch im Rahmen des § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG anzuwenden.[1]

 

Rz. 16a

Der vorherigen Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung eines seiner Mitglieder als Wirksamkeitsvoraussetzung nach § 103 Abs. 1 BetrVG bedarf es aber dann nicht, wenn der Kündigung ein von § 15 Abs. 4 oder Abs. 5 KSchG umfasster Sachverhalt zugrunde liegt. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen die nach § 15 KSchG geschützten Personen bei einer Betriebsstilllegung oder Stilllegung einer Betriebsabteilung in gleicher Weise gekündigt werden können wie andere von der unternehmerischen Entscheidung betroffene Arbeitnehmer. Dies gilt auch, wenn der Mandatsträger aufgrund einer tarifvertraglichen Bestimmung ordentlich unkündbar ist. In diesen Fällen tritt lediglich an die Stelle der ordentlichen Kündigungsmöglichkeit nach § 15 Abs. 4 oder Abs. 5 KSchG die grundsätzlich mögliche außerordentliche Kündigung.[2]

 

Rz. 17

Nach § 626 BGB kann das Arbeitsverhältnis vom Arbeitnehmer oder Arbeitgeber aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragspartner die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zum vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann. Ein Betriebsratsmitglied oder ein sonstiger Funktionsträger steht hinsichtlich der Beurteilung des wichtigen Grunds jedem anderen Arbeitnehmer gleich; seine Eigenschaft als Amtsträger i. S. d. § 15 KSchG darf weder zu seinen Gunsten noch zu seinem Nachteil berücksichtigt werden.[3]

 

Rz. 18

Zu prüfen ist somit, ob dem Arbeitgeber bei Vorliegen eines wichtigen Grunds die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers "bis zum Ablauf der Kündigungsfrist" zumutbar ist. Dabei ist nicht auf die Zeitdauer bis zur ersten möglichen ordentlichen Kündigung, also bei Mitgliedern des Betriebsrats regelmäßig ein Jahr nach Ende der Amtszeit, abzustellen; zu prüfen ist vielmehr, ob dem Arbeitgeber die Beschäftigung bis zum Ablauf der mangels ordentlicher Kündbarkeit konkret nicht einschlägigen und daher "fiktiven" Kündigungsfrist (= Frist, die bei ordentlicher Kündbarkeit des Arbeitnehmers laufen würde) zumutbar ist.[4]

 

Rz. 19

Wann dies der Fall ist, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu entscheiden. Begeht das Betriebsratsmitglied lediglich eine Amtspflichtverletzung (z. B. Verstoß gegen den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit gem. § 74 BetrVG, parteipolitische Betätigung im Betrieb), kann lediglich der Ausschluss aus dem Betriebsrat nach § 23 BetrVG beantragt werden. Erst wenn in der Amtspflichtverletzung zugleich eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten (z. B. Weitergabe von Betriebsgeheimnissen an Konkurrenzfirmen) liegt, ist eine fristlose Kündigung möglich. Hierbei ist aber ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Eine Verletzung der Pflichten aus dem Arbeitsvertrag, die im Rahmen der Amtstätigkeit begangen wird, kann aus einer Konfliktsituation entstehen, der ein Arbeitnehmer, der nicht Mitglied des Betriebsrats ist, nicht ausgesetzt ist. Dies ist z. B. der Fall, wenn es bei Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat im Verlauf längerer schwieriger und erregter Auseinandersetzungen zu persönlichen verbalen Beleidigungen kommt.[5]

 
Praxis-Beispiel

Beispiele für grundsätzlich zulässige fristlose Kündigungen:

  • Vorsätzliches Hinzufügen von vier Wertgutscheinen zu einer Einladung statt der für ein Betriebsratsmitglied vorgesehenen zwei Wertgutscheine zu je 7,50 Euro in einem an das Betriebsratmitglied adressierten Umschlag und damit der heimliche Versuch der einer unberechtigten Zuführung eines Vermögenswerts in Höhe von 15,00 Euro.[6]
  • Vorsätzlicher Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete und vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, indem er wissentlich ein vorgesehenes Formular falsch ausfüllt.[7]
  • Vorsätzliches Löschen von betrieblichen Daten auf dem Server des Arbeitgebers.[8]
  • Verschaffen eines unberechtigten Vorteils auf Kosten des Arbeitgebers durch nachträgliches Eintragen der Beraternummer im Computersystem, um den Vorteil einer darauf beruhenden leistungs- und erfolgsorientierten Vergütung zu erhalten.[9]
  • Unerlaubtes Ausdrucken von Unterlagen für eine betriebsinterne ...

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