Rz. 131

Der Arbeitnehmer erwirbt einen Anspruch auf tatsächliche Weiterbeschäftigung während des Kündigungsschutzprozesses, nicht nur einen Anspruch auf Zahlung der Vergütung (h. M.; BAG, Urteil v. 26.5.1977, 2 AZR 632/76[1]). Nach Ablauf der Kündigungsfrist wird das Arbeitsverhältnis mit seinem bisherigen Inhalt weitergeführt. Der Arbeitnehmer kann also dieselben Rechte (Vergütung, Sozialleistungen, Sonderzuwendungen etc.) geltend machen wie ein Arbeitnehmer im ungekündigten Arbeitsverhältnis.

 

Rz. 132

Der Arbeitnehmer kann aber von Leistungen ausgeschlossen werden, die ein "ungekündigtes" Arbeitsverhältnis voraussetzen, etwa Gewährung einer freiwilligen Weihnachtsgratifikation.[2] Die Tatsache, dass der Arbeitnehmer weiterbeschäftigt wird, ändert nichts an der ausgesprochenen Kündigung. Obsiegt allerdings der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess, sind diese Leistungen nachzuzahlen, da nur eine rechtmäßige Kündigung einen Anspruchsausschluss rechtfertigt.

 

Rz. 133

Soweit es für einen Anspruch des Arbeitnehmers jedoch auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit ankommt, ist die Zeit der Weiterbeschäftigung mit anzurechnen, da die Rechtsgrundlage für die Beschäftigung des Arbeitnehmers insoweit keine Rolle spielt; es kommt ausschließlich auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses an.[3] Das gilt aber nicht für einen Erwerb der Unkündbarkeit; denn Zweck der Weiterbeschäftigungspflicht ist es nicht, die Berechtigung zur Kündigung in Frage zu stellen[4]).

 

Rz. 134

Wird der Arbeitnehmer tatsächlich weiterbeschäftigt, ist er wie ein ungekündigter Arbeitnehmer zu behandeln, er ist Teil der Belegschaft. Er ist bei Betriebsratswahlen aktiv und passiv wahlberechtigt[5]. Er kann vom Arbeitgeber im Wege des Direktionsrechts versetzt werden, wobei der Betriebsrat nach § 99 BetrVG zu beteiligen ist, er kann Sonderkündigungsschutz gem. § 9 MuSchG oder § 168 SGB IX erwerben. Sollte aber das Arbeitsverhältnis aufgrund der ursprünglichen Kündigung enden, sind diese Schutzrechte ohne rechtliche Relevanz.

 

Rz. 135

Der Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung im Rahmen des gem. § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG fortzusetzenden Arbeitsverhältnisses geht aber nicht weiter als in dem bisher bestandenen Arbeitsverhältnis, das durch die Kündigung der Arbeitgeberin beendet werden sollte. Während des sogenannten Weiterbeschäftigungsverhältnisses gelten dieselben arbeitsvertraglichen Bedingungen, die auch bis zu dem Entlassungstermin gegolten haben. Der Arbeitnehmer kann gegenüber dem Arbeitgeber dieselben Rechte herleiten wie in dem gekündigten Arbeitsverhältnis, und dem Arbeitgeber stehen auf der anderen Seite dieselben rechtlichen Befugnisse zu. Rechtsgrund für den Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung ist nicht § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG im Sinne einer Sonderregelung selbst, sondern das nach dieser Bestimmung kraft Gesetzes fortzusetzende Arbeitsverhältnis. Der gekündigte Arbeitnehmer hat aufgrund des Weiterbeschäftigungsverhältnisses keine andere Rechtsstellung als die anderen Arbeitnehmer, die sich in einem ungekündigten oder noch in einem gekündigten Arbeitsverhältnis befinden. Wie diese hat er keinen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung, wenn auf Arbeitgeberseite ein berechtigtes Interesse an einer Nichtbeschäftigung besteht. § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG gibt ihm keinen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung über die bisher anerkannten Schranken im bestehenden Arbeitsverhältnis hinaus, insbesondere will er den Arbeitnehmer im Rahmen des Weiterbeschäftigungsverhältnisses hinsichtlich des Beschäftigungsanspruchs nicht besser stellen als die sonstigen Arbeitnehmer. Insofern besteht im Weiterbeschäftigungsverhältnis kein weitergehender Beschäftigungsanspruch als in dem bis zum Entlassungstermin bestandenen Arbeitsverhältnis, weshalb für den Arbeitgeber wie im ungekündigten oder gekündigten Arbeitsverhältnis die rechtliche Möglichkeit besteht, den Arbeitnehmer unter bestimmten Umständen von der Erbringung der Arbeitsleistung freizustellen (LAG Nürnberg, Urteil v. 18.9.2007, 4 Sa 586/07[6]).

Eine arbeitsvertragliche Freistellungsklausel für den Fall einer Kündigung erfasst aber den Weiterbeschäftigungsanspruch gem. § 102 Abs. 5 BetrVG nicht (LAG Hamburg, Urteil v. 22.10.2008, 5 SaGa 5/08; LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 5.1.2007, 7 Sa 93/06[7]).

 

Rz. 135a

Der Arbeitgeber kann während des Kündigungsschutzprozesses erneut eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung aussprechen. Deshalb kann durch sie auch das Weiterbeschäftigungsverhältnis vor einem rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses materiell-rechtlich sein Ende finden.

[1] Fitting, § 102 Rz. 114.
[2] Fitting, § 102 Rz. 114; a. A. Richardi/Thüsing, § 102 Rz. 236.
[3] APS/Koch, § 102 BetrVG Rz. 210; KR/Etzel, § 102 Rz. 219; a. A. Fitting, § 102 Rz. 114.
[4] Richardi/Thüsing, § 102 Rz. 242.
[5] APS/Koch, § 102 BetrVG Rz. 211; DKK/Kittner/Bacher, § 102 Rz. 274.
[6] BB 2008, 217.
[7] NZA-RR 2007, 406.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge