Rz. 1

Da auch während des Insolvenzverfahrens die Regelungen zum Betriebsübergang (§ 613a BGB) – in Übererfüllung der unionsrechtlichen Vorgaben – im Grundsatz anwendbar bleiben (s. nur BAG, Urteil v. 17.1.1980, 3 AZR 160/79[1]) und damit auch der umfassende Kündigungsschutz des § 613a BGB gelten würde, wären unternehmerische Maßnahmen in der Insolvenz stark eingeschränkt. Insbesondere schränkt dieser Kündigungsschutz eine Übertragung an einen möglichen Erwerber massiv ein, da dieser gezwungen wäre, die Einheit vollständig zu übernehmen und kein eigenes Konzept zur Beschäftigung und Restrukturierung entwickeln könnte. Somit dienen die §§ 113, 125127 InsO gerade einer zeitnahen und effizienten Durchführung von Rationalisierungsmaßnahmen. § 125 InsO regelt und erleichtert dabei Fälle, die zugleich eine Betriebsänderung darstellen und in denen mit dem Betriebsrat ein Interessenausgleich mit Namensliste vereinbart wird. Die Veräußerung eines entsprechend rationalisierten Betriebs fällt entsprechend leichter, da die unternehmerische Änderung hier bereits erfolgt ist und damit die Wettbewerbsfähigkeit der Einheit gewährleistet wird.

 
Hinweis

Diese Erleichterungen des Insolvenzverwalters sollen nach § 128 Abs. 1 InsO auch dem Betriebserwerber zugutekommen. Dies hat im Grundsatz zur Folge, dass die Sonderregelungen auch dann greifen, wenn die Rationalisierungsmaßnahmen erst nach einer Betriebsveräußerung erfolgen und damit von den Regelungen des § 613a Abs. 4 BGB abgewichen wird.

 

Rz. 2

Der Gesetzgeber wollte mit dieser Norm die Betriebsveräußerung im Insolvenzfall erleichtern. Sonst würde die Gefahr bestehen, dass eine zügige Betriebsveräußerung unterlassen wird, um zunächst die Privilegierungen der §§ 125127 InsO in Anspruch nehmen zu können und den dann entsprechend modernisierten Betrieb zu veräußern. Die Reihenfolge der Maßnahmen kann aber keine praktische Rolle spielen; im Gegenteil soll gerade die Effizienz und Effektivität der Restrukturierungsmaßnahmen erhöht werden. § 128 Abs. 1 InsO ermöglicht aus diesem Grund, dass auch der Erwerber die vorgesehene Planung bzw. Betriebsänderung ausführt und demgemäß auch kündigt[2] und sich dennoch auf die Vermutungsregelungen der §§ 125127 InsO berufen kann. Nach Übernahme des Betriebs kann der Erwerber die Verhandlungen mit dem Betriebsrat fortführen und ggf. eine Namensliste vereinbaren.[3] Auch kann der Erwerber das Verfahren nach § 126 InsO beantragen, wenn die Verhandlungen zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Betriebsrat nicht zum Abschluss eines Interessenausgleichs geführt haben. § 128 Abs. 1 InsO gilt schließlich für die Fälle, in denen ein Erwerber ein Konzept des Insolvenzverwalters übernimmt, um es selbst zu realisieren.[4] Damit werden Fälle, die sich rechtlich gleichen, vom Gesetz gleichbehandelt. Ziel bleibt die zeitnahe Durchführung des Rationalisierungskonzeptes vor einer Betriebsveräußerung[5], wer dies durchführt, ist hingegen unerheblich, wie § 128 InsO verdeutlicht. Folgende Fallgruppen sind dabei zu unterscheiden[6]: Durchführung der Sanierung durch den Insolvenzverwalter (hier gelten §§ 125127 InsO), Durchführung der Sanierung durch den Erwerber nach Betriebsübergang (hier stellen sich keine Besonderheiten) und Durchführung durch den Insolvenzverwalter aufgrund eines Konzeptes des (zukünftigen) Erwerbers. In den ersten beiden Fällen stellen sich keine kündigungsrechtlichen Probleme hinsichtlich § 613a Abs. 4 BGB, im letzten Fall dagegen schon, da die Kündigungen allein wegen des Betriebsübergangs erfolgt.[7] Hier greifen die Erleichterungen des § 128 InsO. Dies bestätigt auch der Regierungsentwurf[8], der eine solche Kündigung nach Erwerberkonzept vorsieht und legitimiert. Gleichwohl ist eine solche Regelung aufgrund der bestätigenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil v. 20.3.2003, 8 AZR 97/02[9]) mehr deklaratorischer Art.

 

Rz. 3

Unerheblich ist in dieser Konstellation, ob die Kündigungen vor oder nach dem Betriebsübergang ausgesprochen werden.[10] Dies macht § 128 Abs. 1 InsO ausdrücklich deutlich. Allein die Berechtigung, eine Kündigung auszusprechen, ändert sich: Ab dem Betriebsübergang muss der Erwerber selbst etwaige Kündigungen als Arbeitgeber aussprechen, denn § 128 Abs. 1 InsO führt nicht zu einer fortwirkenden Kündigungsbefugnis des Insolvenzverwalters; eine von diesem ohne Vollmacht des Erwerbers ausgesprochene Kündigung nach Betriebsübergang geht ins Leere. An der Geltung der Norm ändert dies gleichwohl nichts.

[1] BAGE 32 S. 326; im Übrigen wäre sonst auch Abs. 2 überflüssig.
[2] APS/Künzl, 5. Aufl. 2017, § 128 InsO, Rz. 51; Lakies, RdA 1997, S. 145, 155.
[3] A. A. HWK/Annuß, Arbeitsrecht, 8. Aufl. 2018, § 128 InsO, Rz. 1.
[4] Kübler/Prütting/Bork/Moll, InsO, 74. EL 11/2017, § 128 InsO, Rz. 30.
[5] Schrader, NZA 1997, S. 70, 78.
[6] Zitiert nach Uhlenbruck/Zobel, InsO, 14. Aufl. 2015, § 128 InsO, Rz. 9.
[7] Ausführlich Uhlenbruck/Zobel, InsO, 14. Aufl. 2015, § 128 InsO, Rz. 11.
[8] Zu § 131: BT-Drucks. 12/2443, S. 150; v...

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