Rz. 63

Als Beendigungszeitpunkt ist nach § 9 Abs. 2 KSchG zwingend der Zeitpunkt festzulegen, zu dem das Arbeitsverhältnis bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte. Abzustellen ist daher auf die ordentliche Kündigungsfrist, und zwar auch bei einer nicht fristgerechten Kündigung. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist nicht gerügt hat.[1] Hat der Arbeitgeber mit einer längeren Frist gekündigt, so gilt diese, weil zu diesem Zeitpunkt bei sozial gerechtfertigter Kündigung das Arbeitsverhältnis geendet hätte (zur Problematik Beendigungszeitpunkt und Beurteilungszeitpunkt s. oben Rz. 32).

 
Hinweis

Hat sich ein Rechtsstreit über eine längere Zeit hingezogen, so kann die rückwirkende Auflösung zum Wegfall möglicher Ansprüche des Arbeitnehmers aus Annahmeverzug führen. Gleichwohl ist die Vorschrift nach der Rechtsprechung des BVerfG[2] und des BAG[3] trotz der Rückwirkung angesichts der strengen Anforderungen an den Auflösungsgrund verfassungsgemäß. Die Bestimmung dient dem Ausgleich der wechselseitigen Interessen an einer Fortsetzung bzw. Beendigung des Arbeitsverhältnisses und greift nicht in grundgesetzwidriger Weise in die Eigentumsrechte des Arbeitnehmers ein.[4]

Der Wegfall von Vergütungsansprüchen aus Annahmeverzug kann bei der Höhe der festzusetzenden Abfindung berücksichtigt werden.

 

Rz. 64

Ist eine außerordentliche und hilfsweise eine ordentliche Kündigung im Streit, kann der Arbeitnehmer wählen, ob er die Auflösung zum Zeitpunkt des Zugangs der außerordentlichen Kündigung oder zum Zeitpunkt der ordentlichen Kündigung beantragt.[5] Dem Arbeitgeber bleibt nur die Möglichkeit, den Auflösungsantrag in Bezug auf die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung zu stellen.

 

Rz. 65

Sind mehrere Kündigungen Gegenstand von Kündigungsschutzklagen, handelt es sich bei den auf die unterschiedlichen Kündigungen bezogenen Auflösungsanträgen um unterschiedliche Streitgegenstände. Daher ist zunächst der zeitlich vorhergehende Auflösungsantrag vor Kündigungsschutzklagen über Folgekündigungen und darauf bezogenen Auflösungsanträgen zu entscheiden.[6] Gleiches gilt bei mehreren Kündigungsschutzanträgen in einem Verfahren.[7]

 
Praxis-Beispiel

In einer Kündigungsschutzklage macht der Arbeitnehmer die fehlende soziale Rechtfertigung von einer ordentlichen Kündigung vom 19.5. zum 30.6. und einer weiteren Kündigung vom 19.11. zum 31.12. des gleichen Jahres geltend. Der Auflösungsantrag kann gestellt werden bezogen auf die 1. Kündigung zum 30.6. Wird diesem stattgegeben, ist über den 2. Kündigungsschutzantrag nicht zu entscheiden.[8] Knüpft der Auflösungsantrag an die 2. Kündigung an, ist über diesen nicht zu entscheiden, wenn der Kündigungsschutzantrag gegen die 1. Kündigung abgewiesen wird.

[1] BAG, Urteil v. 21.6.2012, 2 AZR 694/11, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 68.
[2] Zuletzt BVerfG, Beschluss v. 22.10.2004, 1 BVR 1944/01, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 49.
[3] Grundlegend BAG, Urteil v. 16.5.1984, 7 AZR 280/82, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 12.
[5] BAG, Urteil v. 26.8.1993, 2 AZR 153/93, AP BGB § 626 Nr. 113.
[6] BAG, Urteil v. 27.4.2006, 2 AZR 360/05, AP KSchG 1969, § 9 Nr. 55.
[8] Zur möglichen Bedeutung für die Höhe der Abfindung, vgl. Arnold, § 10 Rz. 19.

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