Rz. 19

Auch wenn es sich bei dem Auflösungsantrag um eine Prozesshandlung handelt, versteht das BAG die Auflösung nach § 9 KSchG als ein eigenständiges prozessuales Institut des Kündigungsschutzrechts[1] mit damit verbundenen Besonderheiten.

 

Rz. 20

Der Auflösungsantrag kann zeitgleich mit Erhebung der Kündigungsschutzklage gestellt werden. Die Antragstellung ist jedoch nach § 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz möglich. Angesichts dieser Sonderregelung als lex specialis bedarf die Antragstellung weder der Einwilligung der Gegenseite noch der Zulassung durch das Gericht gem. §§ 263, 533 ZPO.[2] Auch scheidet eine Zurückweisung wegen verspäteter Antragstellung aus. Eine erstmalige Antragstellung in der Berufungsinstanz ist daher auch dann möglich, wenn die vorgebrachten Auflösungsgründe bereits erstinstanzlich vorlagen.[3] In der Revisionsinstanz kann ein Auflösungsantrag auch mit Zustimmung der Gegenseite nicht mehr gestellt werden.[4]

 
Hinweis

Der Zeitpunkt der Antragstellung ist häufig von taktischen Überlegungen geprägt.

So möchten Arbeitnehmer nicht immer frühzeitig offenlegen, dass es ihnen nicht um die Weiterbeschäftigung, sondern um die Zahlung einer Abfindung geht.

Über die Kündigungsschutzklage und den Auflösungsantrag wird normalerweise zeitgleich entschieden (hierzu unten Rz. 61). Auflösungsanträge, die erst in der mündlichen Verhandlung gestellt werden, können dazu führen, dass ein Fortsetzungstermin anberaumt wird. Dadurch ergibt sich die gewollte Möglichkeit, auch ergänzend zu den Kündigungsgründen vortragen zu können.

 

Rz. 21

Die "Rücknahme" der Kündigung[5] im Kündigungsschutzprozess durch den Arbeitgeber steht einem danach gestellten Auflösungsantrag des Arbeitnehmers nicht entgegen. In der Erhebung einer Kündigungsschutzklage liegt nicht die antizipierte Zustimmung zum Angebot des Arbeitgebers auf Fortsetzung.[6]

 
Hinweis

Der Arbeitgeber kann sich einer drohenden Auflösung auf Antrag des Arbeitnehmers weder durch eine "Rücknahme" noch durch ein Anerkenntnis der Unwirksamkeit der Kündigung entziehen.

 

Rz. 22

Die Rücknahme eines Auflösungsantrags folgt den gleichen Grundsätzen wie die Stellung des Antrags. Sie ist bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz zulässig und bedarf nicht der Zustimmung der Gegenseite, da keine teilweise Klagerücknahme i. S. v. § 269 ZPO vorliegt.[7] Dies gilt auch dann, wenn dem Auflösungsantrag erstinstanzlich stattgegeben wurde. Wird mit dem BAG die Rücknahme eines Auflösungsantrags als besonderer Anwendungsfall des § 264 Nr. 2 ZPO verstanden, ist zumindest mit Einwilligung der Gegenseite die Rücknahme auch im Revisionsverfahren möglich.

 

Rz. 23

In der Rücknahme eines Auflösungsantrags liegt regelmäßig auch kein Klageverzicht nach § 306 ZPO.[8] Eine erneute Antragstellung ist daher möglich.

 
Hinweis

Die Möglichkeit der Antragstellung nach § 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG unterliegt Einschränkungen zwischen den Instanzen.

Ein Arbeitnehmer, der mit seiner Kündigungsschutzklage obsiegt hat, kann nicht Berufung einlegen mit dem Ziel, nunmehr einen Auflösungsantrag zu stellen, da er durch das Urteil nicht beschwert wurde.[9]

Nach Schluss der mündlichen Verhandlung in der 1. Instanz kann ein Auflösungsantrag zwischen mündlicher Verhandlung und Verkündung des Urteils oder nach Verkündung nicht zurückgenommen werden.

Antragstellung und Rücknahme sind erst wieder im Rahmen einer eingelegten Berufung möglich. Legt der Arbeitgeber Berufung ein, kann der Arbeitnehmer nunmehr einen Auflösungsantrag durch eine bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren zulässige Anschlussberufung stellen[10] oder einen Auflösungsantrag auch dann zurücknehmen, wenn diesem erstinstanzlich stattgegeben wurde. Durch die bis zur Verkündung des Berufungsurteils nach § 516 Abs. 1 ZPO mögliche Rücknahme der Berufung ohne Zustimmung der Gegenseite kann der Arbeitgeber jedoch den Auflösungsantrag oder die im Berufungsverfahren erklärte Rücknahme des Auflösungsantrags zu Fall bringen.[11]

[1] BAG, Urteil v. 26.10.1979, 7 AZR 752/77, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 5; BAG Urteil v. 10.12.2020, 2 AZR 308/20, NZA 2021, 293.
[3] BAG, Urteil v. 19.11.2015, 2 AZR 217/15, AP KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75.
[4] MünchKommBGB/Hergenröder, Band 5, 8. Aufl. 2020, § 9 KSchG, Rz. 14.
[5] Zur Bedeutung der Rücknahme näher Wiehe, § 4, Rz. 11 ff.
[6] Grundlegend BAG, Urteil v. 19.8.1982, 2 AZR 230/80, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 9.
[7] BAG, Urteil v. 26.10.1979, 7 AZR 752/77, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 5, KR/Spilger, § 9 KSchG, Rz. 29.
[8] Löwisch/Schlünder/Spinner/Wertheimer, § 9 KSchG, Rz. 25; Boecken/Düwell/Diller/Hanau/Eylert, 2. Aufl. 2022, § 9 KSchG, Rz. 17.
[9] BAG, Urteil v. 23.6.1993, 2 AZR 56/93, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 23.
[10] BAG, Urteil v. 11.7.2013, 2 AZR 241/12, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 69.
[11] BAG, Urteil v. 3.4.2008, 2 AZR 720/06, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 56.

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