2.1 Anhängiger Kündigungsschutzprozess

 

Rz. 6

Ein Auflösungsantrag kann nur im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses gestellt werden und setzt nach ständiger Rechtsprechung des BAG die Sozialwidrigkeit der ordentlichen Kündigung voraus.[1]

 
Praxis-Beispiel

Ein Arbeitnehmer macht in einer nach § 4 Satz 1 KSchG erhobenen Klage nur die Unwirksamkeit der Kündigung nach § 102 BetrVG geltend. In diesem Fall kann ein Auflösungsantrag weder von Arbeitnehmer- noch von Arbeitgeberseite gestellt werden, da das Arbeitsgericht die Sozialwidrigkeit nicht zu prüfen hat.

 

Rz. 7

Dies gilt nach überwiegender Auffassung auch nach den Änderungen des KSchG ab 1.1.2004 durch das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003.[2] Auch wenn sonstige Unwirksamkeitsgründe innerhalb der 3-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG geltend gemacht werden müssen, stellt § 9 Abs. 2 KSchG auf die sozial ungerechtfertigte Kündigung ab. Auch wäre § 13 Abs. 2 KSchG ansonsten überflüssig. Außerdem verweist § 13 Abs. 3 KSchG nicht auf § 9 KSchG.[3]

 

Rz. 8

Damit scheidet ein Auflösungsantrag insbesondere in folgenden Fällen als unzulässig aus:

  • Kündigungen innerhalb der Wartezeit von 6 Monaten nach § 1 KSchG
  • Kündigungen im Kleinbetrieb (§ 23 Abs. 1 KSchG)
  • Klage nach Ablauf der 3-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG, mit der die Formunwirksamkeit einer mündlichen Kündigung geltend gemacht wird[4]
  • Rechtsstreitigkeiten über die Wirksamkeit einer Befristung oder eines Aufhebungsvertrags
  • Kündigung eines Ausbildungsverhältnisses[5]
  • Änderungskündigungen, wenn der Arbeitnehmer wirksam den Vorbehalt nach § 2 KSchG erklärt und eine Klage nach § 4 Satz 2 KSchG erhoben hat. In diesem Fall ist auch ein beiderseitiger Auflösungsantrag unzulässig.[6] Erklärt der Arbeitnehmer bei einer Änderungskündigung keinen Vorbehalt nach § 2 KSchG und erhebt er Kündigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG, ist ein Auflösungsantrag zulässig.[7]
[1] Grundlegend BAG, Urteil v. 29.1.1981, 2 AZR 1055/78, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 6.
[2] BGBl I S. 3002.
[3] BAG, Urteil v. 28.8.2008, 2 AZR 63/07, AP KSchG § 9 Nr. 62; ErfK/Kiel, 24. Aufl. 2024, § 9 KSchG, Rz. 2; KR/Spilger, 13. Aufl. 2022, § 9 KSchG, Rz. 31.
[4] LKB/Linck, KSchG, 16. Aufl. 2019, § 9 KSchG, Rz. 13.
[5] BAG, Urteil v. 29.11.1984, 2 AZR 354/83, AP KSchG 1969 § 13 Nr. 6.
[6] BAG, Urteil v. 24.10.2013, 2 AZR 320/13, KR/Spilger, § 9 KSchG, Rz. 38; a. A. Schaub, RdA 1970, 236.
[7] BAG, Urteil v. 29.1.1981, 2 AZR 1055/78, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 6.

2.2 Mehrere Unwirksamkeitsgründe

 

Rz. 9

Häufig wird bei Kündigungsschutzklagen nicht nur über das Vorliegen von Kündigungsgründen nach § 1 KSchG gestritten. Vielmehr werden zugleich weitere Unwirksamkeitsgründe geltend gemacht.

 

Rz. 10

Die Parteien gehen dabei nicht selten von folgendem Verständnis der Auflösungsmöglichkeit aus:

 

Rz. 11

In einem 1. Schritt wird die Unwirksamkeit der Kündigung geprüft. Ein Unwirksamkeitsgrund genügt. Ist die Kündigung unwirksam, wird beim Auflösungsantrag geprüft, ob ein Auflösungsgrund vorliegt. Dieses vereinfachende Verständnis verkennt jedoch, dass der Auflösungsantrag an eine sozialwidrige Kündigung anknüpft. Hieraus ergeben sich für den Auflösungsantrag von Arbeitnehmer und Arbeitgeber unterschiedliche Konsequenzen.

 

Rz. 12

Die Unwirksamkeit einer Kündigung aus sonstigen Gründen steht dem Auflösungsantrag eines Arbeitnehmers nicht entgegen, wenn die Kündigung auch sozialwidrig ist.

 
Praxis-Beispiel

Eine aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochene Kündigung ist nach § 17 MuSchG unwirksam. Die Frage, ob betriebsbedingte Gründe vorliegen, muss das Arbeitsgericht im Rahmen der Klage nach § 4 Satz 1 KSchG nicht prüfen.

Stellt die Arbeitnehmerin einen Auflösungsantrag, hat das Arbeitsgericht nicht nur zu prüfen, ob ein Auflösungsgrund vorliegt. Vielmehr hat es im Rahmen des Auflösungsantrags bis hin zu einer Beweisaufnahme zu prüfen, ob die Kündigung auch sozial ungerechtfertigt nach § 1 KSchG war. Ist die Kündigung nach den §§ 1 Abs. 2 und 3 KSchG sozial gerechtfertigt und nur nach § 17 MuSchG unwirksam, ist der Auflösungsantrag unbegründet.

Diese gebotene "hypothetische" Prüfung durch das Gericht ist den Parteien einerseits schwer vermittelbar und kann andererseits die Vergleichsbereitschaft fördern.

 

Rz. 13

Nach der in der Literatur allerdings umstrittenen Auffassung des BAG kann der Arbeitgeber einen Auflösungsantrag nicht stellen, wenn die Kündigung unabhängig von der Sozialwidrigkeit bereits aus anderen, den Arbeitnehmer schützenden Normen unwirksam ist.[1] Auch nach den zum 1.1.2004 erfolgten Änderungen des KSchG hält das BAG ausdrücklich an seiner Rechtsprechung fest.[2] Für die Auffassung des BAG spricht, dass über den Auflösungsantrag des Arbeitgebers ein Arbeitnehmer nicht den besonderen Kündigungsschutz aus anderen Gründen verlieren soll. Die weitergehend vorgenommene Differenzierung zwischen Unwirksamkeitsgründen als Folge des Verstoßes gegen eine Schutznorm des Arbeitnehmers und sonstigen Unwirksamkeitsgründen[3] ist für die Praxis von geringer Bedeutung, da es sich bei den typischen weiteren Unwirksamkeitsgründen wie den §§ 174, 168 SGB IX, § 1...

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