Rz. 13

§ 4 Satz 1 KSchG bezieht sich seinem Wortlaut nach lediglich auf Kündigungen. Im Einzelfall ist jedoch sorgfältig zu prüfen, ob die Regelung auch auf andere Maßnahmen und Erklärungen des Arbeitgebers Anwendung findet.

3.1 Direktionsrecht

 

Rz. 14

Mit der Ausübung des Direktionsrechts (§ 106 GewO) konkretisiert der Arbeitgeber die bestehenden vertraglichen Leistungspflichten des Arbeitnehmers.[1] Damit unterscheidet sich die arbeitsvertragliche Weisung systematisch nicht nur von der Beendigungskündigung, sondern auch von der Änderungskündigung, die auf eine einseitige Änderung der vertraglichen Vereinbarungen gerichtet ist.

 

Rz. 15

Geht der Arbeitnehmer von der Unzulässigkeit einer Direktionsmaßnahme aus, kann er die Rechtswidrigkeit der arbeitgeberseitigen Weisung gem. § 256 Abs. 1 ZPO gerichtlich feststellen lassen.[2] Nach einer Rechtsprechungsänderung (BAG, Beschluss v. 14.6.2017, 10 AZR 330/16 (A)[3]; BAG, Beschluss v. 14.9.2017, 5 AS 7/17[4]) muss der Arbeitnehmer eine unbillige Weisung des Arbeitgebers nicht befolgen. Verweigert ein Arbeitnehmer aber die Arbeitsleistung und stellt sich später die Rechtmäßigkeit der Weisung des Arbeitgebers heraus, gehen seine Vergütungsansprüche für diesen Zeitraum verloren. Auch könnte eine Kündigung des Arbeitgebers wegen Arbeitsverweigerung wirksam sein. Dementsprechend sollte der Arbeitnehmer, soweit er ein besonderes Interesse daran hat, der Weisung nicht Folge zu leisten, auch weiterhin eine einstweilige Verfügung beim Arbeitsgericht erwirken.[5] Die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG gilt dabei nicht (BAG, Urteil v. 5.2.2009, 6 AZR 151/08[6]).

[1] HWK/Lembke, Arbeitsrecht, 9. Aufl. 2020, § 106 GewO, Rz. 5.
[2] HWK/Lembke, Arbeitsrecht, 9. Auflage 2020, § 106 GewO, Rz. 133; ErfK/Preis, 21. Aufl. 2021, § 106 GewO, Rz. 12.
[3] NZA 2017 S. 1185.
[4] ArbRAktuell 2017 S. 487.
[5] Fuhlrott/Ritz, ArbRAktuell 2017, S. 475, 477; Bauer, ArbRAktuell 2017, S. 487.
[6] AP KSchG 1969 § 4 Nr. 69.

3.2 Aufhebungsvertrag

 

Rz. 16

Auf Aufhebungsverträge zur einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses findet § 4 Satz 1 KSchG ebenfalls keine Anwendung, da keine Kündigungserklärung vorliegt (BAG, Urteil v. 5.2.2009, 6 AZR 151/08[1]). Der Arbeitnehmer muss eine etwaige Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrags, z. B. aufgrund von Anfechtung, nicht innerhalb der 3-Wochen-Frist gerichtlich geltend machen.

[1] AP KSchG 1969 § 4 Nr. 69; vgl. auch BAG, Urteil v. 21.9.2017, 2 AZR 57/17, NZA 2017 S. 1524.

3.3 Abwicklungsvertrag

 

Rz. 17

Im Gegensatz zum Aufhebungsvertrag geht dem Abwicklungsvertrag eine einseitige Kündigung des Arbeitsverhältnisses voraus. Die Parteien beschränken sich im Abwicklungsvertrag darauf, Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, z. B. Zahlung einer Abfindung, einvernehmlich zu regeln.[1]

 

Rz. 18

Mängel des Abwicklungsvertrags muss der Arbeitnehmer nicht gem. § 4 Satz 1 KSchG gerichtlich geltend machen. Allerdings berührt die Unwirksamkeit des Abwicklungsvertrags die Wirksamkeit der dem Abwicklungsvertrag zugrunde liegenden Kündigung nicht. Der Arbeitnehmer muss die Kündigung daher mit einer Kündigungsschutzklage angreifen. In der Praxis ist die 3-Wochen-Frist für diese Klage jedoch vielfach abgelaufen, wenn der Arbeitnehmer Kenntnis von der Unwirksamkeit des Abwicklungsvertrags erlangt. In Betracht kommt dann allenfalls eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage, falls die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG erfüllt sind.[2]

 

Beispiel

Der Arbeitnehmer erhält am 14.9. (einem Freitag) eine Kündigung. Am 30.9. schließt der Arbeitnehmer mit dem Arbeitgeber einen Abwicklungsvertrag, mit dem sich die Parteien über ihre gegenseitigen Ansprüche für den Zeitraum bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 31.10. einigen. Am 1.11. erfährt der Arbeitnehmer, dass ihn der Arbeitgeber bei Abschluss des Abwicklungsvertrags arglistig getäuscht hatte.

Der Arbeitnehmer kann seine auf den Abschluss des Abwicklungsvertrags gerichtete Willenserklärung gem. § 123 Abs. 1 BGB anfechten. Diese Anfechtung führt zur Nichtigkeit des Abwicklungsvertrags gem. § 142 Abs. 1 BGB. Auf die Kündigung vom 14.9. wirkt sich die Nichtigkeit des Abwicklungsvertrags aber nicht aus, sodass der Arbeitnehmer in Bezug auf die Kündigung zusätzlich Kündigungsschutzklage erheben muss. Die 3-Wochen-Frist nach Zugang der Kündigung lief jedoch bereits am 5.10. ab. Denkbar wäre nur eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage gem. § 5 KSchG.[3] Maßgeblich für den Beginn der 2-Wochen-Frist des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG dürfte dabei die Kenntnisnahme vom Anfechtungsgrund am 1.11. sein.[4] Der Arbeitnehmer muss den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage daher spätestens am 15.11. stellen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist auch die Kündigungsschutzklage zu erheben (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 1 KSchG).

[1] Hümmerich, NZA 2001, S. 1280.
[2] APS/Rolfs, 6. Aufl. 2021, Aufhebungsvertrag, Rz. 27; KR/Klose, 12. Aufl. 2019, § 4 KSchG, Rz. 36.
[3] Dazu Nebeling/Schmid, NZA 2002, S. 1310, 1312 f.
[4] Vgl. APS/Rolfs, 6. Aufl 2021, Aufh...

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