Rz. 92

Das Arbeitsgericht ersetzt die Zustimmung des Betriebsrats, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist (Abs. 2 Satz 1). Es hat also zu prüfen, ob ein wichtiger Grund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB vorliegt.[1]

 

Rz. 93

Das Gericht hat bei der Prüfung, ob eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt ist, alle Umstände zu berücksichtigen. Da die Entscheidung im Beschlussverfahren ergeht, hat es die für den wichtigen Grund maßgebenden Tatsachen von Amts wegen zu ermitteln.[2] Es hat vor allem zu prüfen, ob durch die Einleitung des Zustimmungsersetzungsverfahrens die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt ist.[3] Außerdem hat das Gericht zwischenzeitlich eingetretene Kündigungsbeschränkungen, wie z. B. Schwangerschaft, die ein Kündigungsverbot nach § 17 MuSchG begründet, zu beachten. Maßgebend ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung.

 

Rz. 94

Das Arbeitsgericht hat lediglich zu prüfen, ob die vom Arbeitgeber geltend gemachten Kündigungsgründe eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen; denn es erforscht den Sachverhalt von Amts wegen nur im Rahmen der gestellten Anträge.[4] Der Amtsermittlungsgrundsatz bedeutet nicht, dass das Gericht einen Sachverhalt, der in dem Verfahren bekannt wird, zur Rechtfertigung der beabsichtigten Kündigung heranzieht, wenn der Arbeitgeber sich nicht auf diesen Sachverhalt stützt.[5]

 

Rz. 95

Der Arbeitgeber kann allerdings im Laufe des Beschlussverfahrens Kündigungsgründe nachschieben. Keine Rolle spielt, in welchem Zeitpunkt sich die Umstände ereignet haben; denn anders als im Kündigungsrechtsstreit geht es hier um die Zustimmung zu einer erst noch auszusprechenden Kündigung.[6] Die Gründe können vom Arbeitsgericht aber nur verwertet werden, wenn der Arbeitgeber zuvor vergeblich beim Betriebsrat beantragt hat, ihretwegen die Zustimmung zur Kündigung zu erteilen; denn die Beteiligung des Betriebsrats ist eine Verfahrensvoraussetzung und das Arbeitsgericht deshalb lediglich befugt, die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zu ersetzen.[7] Die Mitteilung an den Betriebsrat wird nicht dadurch ersetzt, dass die Gründe im gerichtlichen Verfahren erörtert werden, auch wenn der Vorsitzende des Betriebsrats am Anhörungstermin teilnimmt und der Prozessvertreter des Betriebsrats im Einvernehmen mit ihm den Antrag auf Ablehnung der Zustimmungsersetzung weiterverfolgt.[8]

 

Rz. 96

Beim Nachschieben von Kündigungsgründen muss die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB beachtet werden. Da sie bei Nichterteilung der Zustimmung nur durch die Einleitung des Zustimmungsersetzungsverfahrens gewahrt wird, genügt nicht, dass der Arbeitgeber wegen dieser Gründe den Betriebsrat innerhalb der Frist um Erteilung der Zustimmung ersucht hat, sondern er muss sie innerhalb der Frist in das Zustimmungsersetzungsverfahren einführen.[9]

 
Hinweis

Nachgeschobene Kündigungsgründe, zu denen zwar der Betriebsrat innerhalb der 2-Wochen-Frist des § 626 BGB angehört worden ist, die aber vor Ablauf der 3-Tages-Frist des § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG in das Zustimmungsersetzungsverfahren eingebracht wurden, bleiben unberücksichtigt.[10]

 

Rz. 97

Folgt man dem Dogma der Notwendigkeit einer vor Ausspruch der Kündigung erklärten oder ersetzten Zustimmung des Betriebsrats[11], so ist die Ersetzung der Zustimmung nur zu einer beabsichtigten Kündigung möglich, der Antrag auf Ersetzung der Zustimmung zu einer bereits ausgesprochenen Kündigung also bereits aus diesem Grund unbegründet.[12] Hat der Arbeitgeber nach Ausspruch der Kündigung das Zustimmungsersetzungsverfahren eingeleitet, so muss man aber berücksichtigen, dass der Kündigungsberechtigte eine außerordentliche Kündigung innerhalb der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB wiederholen kann. Deshalb ist der Antrag auf Ersetzung der Zustimmung nur dann als unbegründet anzusehen, wenn der Arbeitgeber erst nach Ablauf der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB das Zustimmungsersetzungsverfahren eingeleitet hat.[13]

[1] Ebenso BAG, Beschluss v. 22.8.1974, 2 ABR 17/74, AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 1 (G. Hueck); BAG, Beschluss v. 27.5.1975, 2 ABR 125/74 und BAG, Beschluss v. 27.1.1977, 2 ABR 77/76, AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 4 und 7; s. auch BAG, Beschluss v. 16.12.2004, 2 ABR 7/04, AP BGB § 626 Nr. 191; Fitting, BetrVG, 30. Aufl. 2020, § 103 BetrVG, Rz. 43; HWGNRH/Huke, BetrVG, 10. Aufl. 2018, § 103 BetrVG, Rz. 82; GK-BetrVG/Raab, 11. Aufl. 2018, § 103 BetrVG, Rz. 69; MünchArbR/Volk, 4. Aufl. 2018, § 344, Rz. 128 ff.; trotz Anerkennung eines Entscheidungsspielraums für den Betriebsrat und in Widerspruch zu dieser Feststellung, soweit er zutreffend bemerkt, dass das Gericht nicht auf die Nachprüfung beschränkt sei, ob der Betriebsrat sein pflichtgemäßes Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe, KR/Rinck, 12. Aufl. 2019, § 103 BetrVG, Rz. 119.
[3] Vgl. Rz. 89.
[5] Ebenso BAG, Beschluss v. 27.1.1977, 2 ABR 77/76, AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 7; Linck/Krause/Bayreuther/Bayreuther, KSchG, 16. Aufl. 20...

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