Rz. 7

Der Arbeitnehmer muss nach Zugang der Kündigung[1] und vor der Rechtskraft[2] des Urteils im Kündigungsschutzverfahren ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen sein. Bei einem erst nach Rechtskraft des aus der Perspektive des Arbeitnehmers obsiegenden Urteils eingegangenen Arbeitsverhältnis greift § 12 KSchG nicht.

Auf die Art des neuen Arbeitsverhältnisses kommt es nicht an; in Betracht kommen daher z. B. ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis, ein Probearbeitsverhältnis, ein Teilzeitarbeitsverhältnis sowie ein Leiharbeitsverhältnis.

 

Rz. 8

Nach dem Wortlaut von § 12 Satz 1 KSchG muss der Arbeitnehmer ein neues "Arbeitsverhältnis" eingegangen sein. Aufgrund der Interessenlage gilt die Vorschrift allerdings entsprechend, wenn der Arbeitnehmer ein Dienstverhältnis als Organmitglied einer juristischen Person, d. h. z. B. als GmbH-Geschäftsführer oder Vorstand einer AG oder eG eingegangen ist.[3] Auch wenn der Arbeitnehmer ein Ausbildungsverhältnis eingegangen ist, hat er das Wahlrecht nach § 12 KSchG.[4]

 

Rz. 9

Das Sonderkündigungsrecht nach § 12 KSchG steht dem Arbeitnehmer nicht zu, wenn er während des Kündigungsschutzprozesses eine selbstständige Tätigkeit aufgenommen hat. In der Literatur wird zwar teilweise eine entsprechende Anwendung der Vorschrift befürwortet. Der Arbeitnehmer, der nach Erhalt der Kündigung eine selbstständige Gewerbe- oder Berufstätigkeit (etwa als Handelsvertreter) aufgenommen habe, befinde sich in einer ähnlichen Interessen- und Pflichtkollision wie bei der zwischenzeitlichen Begründung eines Arbeitsverhältnisses.[5]

Das BAG hat dieser Auffassung aber eine Absage erteilt.[6] Nach dem BAG macht der systematische Zusammenhang zwischen §§ 12 und 11 KSchG deutlich, dass der in § 12 KSchG verwendete Begriff des "Arbeitsverhältnisses" wörtlich zu nehmen ist und deshalb eine planwidrige Lücke als Voraussetzung für eine analoge Anwendung bei Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit nicht vorliegt. Außerdem beruhen die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses und die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit typischerweise auf sehr unterschiedlichen Motiven des Arbeitnehmers, weshalb keine vergleichbare Interessenlage vorliegt. Die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit ist wegen der damit regelmäßig verbundenen Notwendigkeit finanzieller Aufwendungen i. d. R. nicht nur für eine vorübergehende Zeit beabsichtigt. Schließlich besteht nur bei Eingehung eines neuen Arbeitsverhältnisses die aus der persönlichen Abhängigkeit folgende besondere Pflichtenkollision, die durch das Sonderkündigungsrecht nach § 12 KSchG beseitigt werden soll.

Die Nichtfortsetzungserklärung eines Selbstständigen ist regelmäßig in eine ordentliche Kündigung zum nächst möglichen Termin umzudeuten.[7]

 

Rz. 10

Der Arbeitnehmer muss das neue Arbeitsverhältnis "eingegangen" sein. Dies bedeutet, er muss den Arbeits-, Dienst- oder Ausbildungsvertrag rechtswirksam abgeschlossen haben. Es ist allerdings nicht erforderlich, dass er die Arbeit bereits tatsächlich aufgenommen hat; unbeachtlich ist auch, wenn der Vertragsbeginn erst nach der Rechtskraft des Urteils im Kündigungsschutzverfahren liegt.[8]

 

Beispiel

Der Arbeitnehmer ist eine Woche vor dem arbeitsgerichtlichen Kammertermin ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen. Er gewinnt den Kündigungsschutzprozess; der Arbeitgeber legt keine Berufung ein.

  1. Der Arbeitnehmer befindet sich bei Rechtskraft des Urteils bei seinem neuen Arbeitgeber noch in der Probezeit und könnte das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von 2 Wochen kündigen.
  2. Der Arbeitnehmer hat arbeitsvertraglich eine Kündigungsfrist von 6 Monate zum Jahresende vereinbart.

In beiden Fällen steht dem Arbeitnehmer das Wahlrecht des § 12 KSchG zu. Hierfür ist es gleichgültig, ob und mit welcher Frist er das neue Arbeitsverhältnis beenden könnte.

 

Rz. 11

Der Arbeitnehmer kann das Wahlrecht nach § 12 KSchG auch noch dann haben, wenn sein neues Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Rechtskraft des Kündigungsschutzurteils zwar bereits gekündigt, die Kündigungsfrist aber noch nicht abgelaufen ist.[9]

Endet die Kündigungsfrist aber innerhalb der Wochenfrist, innerhalb derer der Arbeitnehmer das Wahlrecht ausüben muss (hierzu unten Rz. 18), steht ihm das Wahlrecht nicht mehr zu. In diesem Fall besteht für den Arbeitnehmer keine Konfliktsituation, sich zwischen 2 Arbeitsverhältnissen entscheiden zu müssen. Auch wenn der Arbeitnehmer das neue Arbeitsverhältnis unter der auflösenden Bedingung des Obsiegens im Kündigungsrechtsstreit eingegangen ist, steht ihm das Wahlrecht nach § 12 KSchG nicht zu.[10] In diesem Fall erlischt das neue Arbeitsverhältnis mit der Rechtskraft des der Kündigungsschutzklage stattgebenden Urteils.

[1] ErfK/Kiel, § 12 KSchG Rz. 2.
[2] MünchKommBGB/Hergenröder, 9. Aufl. 2023, § 12 KSchG Rz. 6; Löwisch/Schlünder/Spinner/Wertheimer, KSchG, § 12 KSchG Rz. 5.
[3] So auch KR/Spilger, 13. Aufl. 2022, § 12 KSchG Rz. 10; ErfK/Kiel, § 12 KSchG Rz. 2; Löwisch/Schlünder/Spinner/Wertheimer, KSchG, § 12 KSchG Rz. 5.
[4] KR/Spilge...

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