Rz. 19

Nach § 11 Nr. 2 KSchG muss sich der Arbeitnehmer auf das Arbeitsentgelt, das ihm der Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schuldet, das anrechnen lassen, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen. Die Vorschrift ist inhaltsgleich mit § 615 Satz 2 BGB.[1] Beide Bestimmungen stellen darauf ab, ob dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) sowie unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl (Art. 12 GG) die Aufnahme einer anderweitigen Arbeit zumutbar ist. Die Unzumutbarkeit der Arbeit kann sich unter verschiedenen Gesichtspunkten ergeben. Sie kann ihren Grund in der Person des Arbeitgebers, der Art der Arbeit und den sonstigen Arbeitsbedingungen haben. Auch vertragsrechtliche Umstände sind zu berücksichtigen.[2]

 
Hinweis

Der Begriff des "Verdienenkönnens" in § 11 Nr. 2 KSchG ist nach der Rechtsprechung des BAG einschränkend dahingehend auszulegen, dass er sich nur auf vertraglich geregelte Ansprüche für eine zumutbare Arbeit gegen den jeweiligen Vertragspartner bezieht.[3] (). Die Chance, Trinkgelder – schenkweise Zuwendungen von Dritten – erhalten zu können, ist insoweit unerheblich. Der 5. Senat begründet dies u. a. auch damit, dass das Trinkgeld üblicherweise nicht zum Arbeitsentgelt zählt (vgl. § 108 Abs. 3 Satz 2 GewO) und deshalb weder im Falle von Urlaub noch im Falle der Erkrankung fortzuzahlen ist. Es wird dementsprechend auch nicht als Annahmeverzugslohn geschuldet.[4]

 

Rz. 20

Ein Arbeitnehmer unterlässt böswillig i. S. d. § 11 Nr. 2 KSchG anderweitigen Verdienst, wenn ihm ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt und eine ihm nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl nach Art. 12 GG zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert. Das Unterlassen eines anderweitigen Erwerbs ist nicht nur dann böswillig, wenn der Arbeitnehmer in Kenntnis der objektiven Umstände, nämlich Arbeitsmöglichkeit, Zumutbarkeit der Arbeit und Nachteilsfolge für den Arbeitgeber, vorsätzlich untätig bleibt, sondern Böswilligkeit kann auch dann vorliegen, wenn sich der Arbeitnehmer im Hinblick auf die Zahlungspflicht des Arbeitgebers vorsätzlich mit einer zu geringen Vergütung zufriedengibt. Die Absicht einer Schädigung ist dabei nicht erforderlich. Es genügt das vorsätzliche Außerachtlassen einer dem Arbeitnehmer bekannten Gelegenheit zur Erwerbsarbeit. Fahrlässiges, auch grob fahrlässiges Verhalten reicht allerdings nicht aus.[5]

 
Hinweis

Die vorsätzliche Untätigkeit muss vorwerfbar sein. Das ist nicht der Fall, wenn eine angebotene oder sonst mögliche Arbeit nach den konkreten Umständen für den Arbeitnehmer unzumutbar ist. Die Unzumutbarkeit kann sich etwa aus der Art der Arbeit, den sonstigen Arbeitsbedingungen oder der Person des Arbeitgebers ergeben. Allerdings ist die nicht vertragsgemäße Arbeit nicht ohne Weiteres mit unzumutbarer Arbeit gleichzusetzen.[6] Die Frage der Zumutbarkeit ist unter Berücksichtigung aller Umstände nach Treu und Glauben zu bestimmen.

 

Beispiele

Der Arbeitgeber bietet dem gekündigten Arbeitnehmer an, ihn (zur Minimierung des Annahmeverzugsrisikos) bis zur endgültigen Entscheidung des Kündigungsrechtsstreits zu den bisherigen Arbeitsbedingungen befristet weiterzubeschäftigen (vgl. Rz. 11).

Aber: Während eines laufenden Kündigungsschutzprozesses ist der gekündigte Arbeitnehmer, soweit er in erster Instanz ein vorläufig vollstreckbares Weiterbeschäftigungsurteil erstritten hat, nicht verpflichtet neben dem gekündigten Arbeitsverhältnis ein befristetes Prozessarbeitsverhältnis einzugehen.[7]

 
Hinweis

Wenn sich ein Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess auf die Möglichkeit der Zuweisung einer aus seiner subjektiven Sicht zumutbaren geringerwertigen Tätigkeit als die Kündigung ausschließendes milderes Mittel beruft, ist es ihm nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) regelmäßig verwehrt, im Annahmeverzugsprozess die objektive Unzumutbarkeit einer entsprechenden Tätigkeit geltend zu machen. Hierin liegt ein widersprüchliches Verhalten.[8]

 

Rz. 21

Die Zumutbarkeit für den Arbeitnehmer wird hier vornehmlich von der Art der Kündigung und ihrer Begründung sowie dem Verhalten des Arbeitgebers im Kündigungsprozess abhängen. Bei einer betriebsbedingten oder personenbedingten Kündigung ist die vorläufige Weiterbeschäftigung dem Arbeitnehmer im Gegensatz zu einer verhaltensbedingten, insbesondere außerordentlichen Kündigung i. d. R. zumutbar. Art und Schwere der gegenüber dem Arbeitnehmer erhobenen Vorwürfe können die Unzumutbarkeit der Weiterarbeit begründen, wobei die außerordentliche Kündigung regelmäßig das Ansehen des Arbeitnehmers beeinträchtigt. Wird eine Kündigung auf verhaltensbedingte Gründe gestützt, so spricht dieser Umstand eher für die Unzumutbarkeit der vorläufigen Weiterarbeit für den Arbeitnehmer im Betrieb.[9]

 
Hi...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge