2.3.1 Grundsätzliches

 

Rz. 14

Die Bemessung der Abfindung im Einzelfall erfolgt innerhalb der Höchstgrenzen nach § 10 Abs. 1, 2 KSchG nach pflichtgemäßem Ermessen des Arbeitsgerichts. Innerhalb dieser Höchstgrenzen hat der Gesetzgeber bewusst nicht festgelegt, welche Faktoren mit welchem Gewicht zu berücksichtigen sind und damit schematische Vorgaben vermieden.[1] Dies ermöglicht den Arbeitsgerichten bei einem Höchstmaß an Flexibilität, die Höhe der Abfindung individuell angemessen zu bestimmen.[2] Das Gericht kann alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls berücksichtigen. Die Erwägungen müssen frei von sachfremden oder willkürlichen Einflüssen und in sich widerspruchsfrei sein.[3] Ohne Bindung an Anträge ist das Arbeitsgericht innerhalb der Höchstgrenzen frei. Dabei hat es bei der Festsetzung der angemessenen Höhe folgende Ziele zu beachten:

  • Die Abfindung soll dem Arbeitnehmer einen Ausgleich für den Schaden gewähren, der sich aus dem nicht gerechtfertigten Verlust des Arbeitsplatzes ergibt.

    Der Arbeitgeber soll auch aus präventiven Gründen für die sozial ungerechtfertigte Kündigung sanktioniert werden.[4]

  • Bei der Überprüfung der Festsetzung der Höhe durch die Tatsachengerichte prüft das BAG nur, ob Voraussetzungen und Grenzen des Ermessens beachtet, wesentliche Umstände nicht berücksichtigt, gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungsgrundsätze verstoßen wurde. So hat das BAG ohne nähere Begründung nicht beanstandet, dass das LAG auch auf den Grad der Sozialwidrigkeit der Kündigung und auf die Tatsache abgestellt hatte, dass der Kläger rund 1 Jahr später eine Stelle mit annähernd vergleichbarem Verdienst eingegangen ist.[5]
[1] BT-Drucks. V/3113 S. 9.
[2] APS/Biebl, § 10 KSchG, Rz. 2.
[3] Vgl. z. B. BAG, Urteil v. 19.8.1982, 2 AZR 230/80, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 9.
[4] ErfK/Kiel, § 10 KSchG, Rz. 4.
[5] BAG, Urteil v. 21.6.2012, 2 AZR 694/11, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 68.

2.3.2 Bemessungsfaktoren

 

Rz. 15

Der Erhöhung der Höchstgrenzen in § 10 Abs. 2 KSchG kann entnommen werden, dass der wichtigste Bemessungsfaktor die Dauer der Betriebszugehörigkeit ist. Gleichwohl kann dieser Faktor hinter anderen Gründen zurücktreten, mit der Folge, dass die Dauer der Betriebszugehörigkeit nicht allein von ausschlaggebendem Gewicht ist.[1]

 

Rz. 16

Neben der Betriebszugehörigkeit ist das Lebensalter ein wichtiger Faktor, der sich allerdings sowohl anspruchserhöhend als auch anspruchsmindernd auswirken kann.[2]

 
Praxis-Beispiel

Die Auflösung erfolgt im 49. Lebensjahr. Auch wenn der Arbeitnehmer noch nicht das 50. Lebensjahr (§ 10 Abs. 2 Satz 1 KSchG) erreicht hat, ist hier innerhalb der vorgegebenen Höchstgrenze zu berücksichtigen, dass der Verlust des Arbeitsplatzes den Arbeitnehmer härter trifft.

Wird das Arbeitsverhältnis kurz vor Erreichen der Regelaltersgrenze aufgelöst, kann dies zu einer geringeren Abfindung führen.[3]

 

Rz. 17

Die durch § 10 KSchG vorgegebene Berücksichtigung des Lebensalters verstößt weder gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz noch gegen die Vorgaben der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien. Die §§ 9, 10 KSchG sind als wesentliche Bestimmungen des allgemeinen Kündigungsschutzes von der Ausschlussregelung des § 2 Abs. 4 AGG erfasst. Auf die europarechtliche Problematik von § 2 Abs. 4 AGG kommt es bei § 10 KSchG nicht an. Die unterschiedliche Behandlung wegen des Alters ist objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt. Es wird auf vom Alter abhängende Chancen auf dem Arbeitsmarkt und auf das Erreichen der Regelaltersgrenze abgestellt.[4] Solche Differenzierungen lässt § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG auch in Sozialplänen zu.[5]

 

Rz. 18

Neben dem Lebensalter können die sonstigen Sozialdaten des Arbeitnehmers wie Familienstand, Unterhaltspflichten, aber auch der Gesundheitszustand ergänzend berücksichtigt werden.

 

Rz. 19

Da die Abfindung auch Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes sein soll, ist zu berücksichtigen, wenn das Arbeitsverhältnis ohnehin zu einem späteren Zeitpunkt aufgrund eines nachgehenden Beendigungsgrunds geendet hätte. Ist dieser spätere Beendigungstatbestand im Streit, ist der wahrscheinliche Ausgang des Rechtsstreits im Rahmen einer vorausschauenden Prognose zu berücksichtigen.[6]

 
Praxis-Beispiel

In einer Kündigungsschutzklage sind im Streit eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung vom 30.3. zum 31.8. eines Jahres sowie eine ordentliche Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen vom 30.4. zum 30.9. des gleichen Jahres. Auf Antrag des Arbeitgebers wird das Arbeitsverhältnis zum 31.8. aufgelöst. Bei der Höhe der Abfindung ist anspruchsmindernd auch zu prüfen, ob das Arbeitsverhältnis voraussichtlich durch die verhaltensbedingte Kündigung zum 30.9. geendet hätte.

 

Rz. 20

Als Bemessungsfaktor kann auch auf die Chancen auf dem Arbeitsmarkt abgestellt werden. Da verlässliche Prognosen durch das Arbeitsgericht hier selten aufgestellt werden können, wird dies i. d. R. nur dann von Bedeutung sein, wenn der Arbeitnehmer zum Auflösungszeitpunkt bereits längere Zeit arbeitslos ist oder altersbedingt[7] die Chancen auf dem Arbeitsmark...

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