Rz. 36

Beschränkt sich der 1. Schritt (An-sich-Grund) auf eine abstrakte, objektive Würdigung des Kündigungsgrunds, ist in einem 2. Schritt auf den Einzelfall abzustellen.

4.2.1 Allgemeines

 

Rz. 37

Bei der Interessenabwägung sind alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände in den Blick zu nehmen und die Interessen der Parteien vollständig und widerspruchsfrei gegeneinander abzuwägen.[1] Dabei sind 2 Gesichtspunkte entscheidend:

 

Rz. 38

Zum einen stellt sich die Frage, ob das Arbeitsverhältnis überhaupt beendet werden kann. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses muss für sich genommen der letzte Ausweg sein, der Vertragsstörung zu begegnen. Sie kommt nur in Betracht, wenn alle anderen, nach den jeweiligen Umständen möglichen und angemessenen milderen Mittel erschöpft sind.[2] Dieser Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (s. Rz. 40 ff.) gilt nicht nur für die außerordentliche, sondern auch für die ordentliche, rechtfertigungsbedürftige Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG. Wäre nicht einmal eine ordentliche Kündigung wirksam, kann es eine außerordentliche erst recht nicht sein (s. Rz. 11). Deshalb kann insoweit auf die Ausführungen zu § 1 KSchG zurückgegriffen werden.[3]

 

Rz. 39

Das Besondere an der außerordentlichen Kündigung ist zum anderen die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Zu fragen ist deshalb außerdem, ob das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung der Kündigungsfrist beendet werden kann. Die ordentliche Kündigung ist gegenüber der außerordentlichen stets das mildere Mittel. Deshalb setzt Abs. 1 voraus, dass dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht einmal mehr bis zum Ablauf der Kündigungsfrist (oder dem vereinbarten Vertragsende) zugemutet werden kann. Der Kündigende muss deshalb begründen, dass die Störung derart erheblich ist oder dass das notwendige Vertrauen der Vertragspartner derart gestört ist, dass ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zu dessen eigentlichem Ende unzumutbar ist. Insoweit sind vor allem das Ausmaß der Vertragsstörung und die weitere Bindungsdauer von entscheidender Bedeutung (hierzu Rz. 48 ff.).

4.2.2 Gebot der Verhältnismäßigkeit

 

Rz. 40

Die Kündigung muss also erstens geeignet sein, die Störung des Vertragsverhältnisses zu beenden; allein in der Vergangenheit liegende Beeinträchtigungen vermag sie z. B. nicht zu beheben (s. bereits Rz. 3, 28 f.).

 

Rz. 41

Es darf zweitens kein für den Vertragspartner milderes, gleich wirksames Mittel geben, das in der bisherigen Form nicht mehr haltbare Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Die außerordentliche Kündigung muss ultima ratio sein. Mildere Mittel sind z. B. eine Abmahnung, eine Ver- oder Umsetzung auf einen anderen Arbeitsplatz, die einvernehmliche Abänderung des Vertrags sowie eine außerordentliche Änderungskündigung (sog. Vorrang der Änderungskündigung gegenüber der Beendigungskündigung). Sie sind sämtlich auch im Falle der ordentlichen Kündigung unter Geltung des KSchG zu berücksichtigen. Im Folgenden wird deshalb nur die Abmahnung erläutert (Rz. 44 ff.) und im Übrigen auf die Kommentierung zu § 1 KSchG verwiesen.

 

Rz. 42

Nur bei der außerordentlichen Kündigung kommt hingegen die ordentliche Kündigung als milderes Mittel in Betracht (hierzu unten Rz. 49 ff.). Der Arbeitgeber ist hingegen nicht verpflichtet, vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung samt Suspendierung des Arbeitnehmers in Betracht zu ziehen (hierzu Rz. 13).

 

Rz. 43

Drittens muss die Kündigung in einem angemessenen Verhältnis zu dem damit verfolgten Zweck stehen, die Störung des Arbeitsverhältnisses zu beseitigen. Dabei müssen auch grundgesetzliche Wertungen berücksichtigt werden.[1]

[1] Hierzu Thüsing, Einleitung Rz. 6 ff.

4.2.3 Abmahnung

 

Rz. 44

Ausfluss des ultima ratio-Prinzips ist es, dass einer außerordentlichen (wie auch einer ordentlichen) Kündigung i. d. R. eine Abmahnung vorauszugehen hat, um dem Vertragsgegner die Gelegenheit zu geben, die Störung des Arbeitsverhältnisses zu beseitigen, insbesondere sein Fehlverhalten zu ändern. Dementsprechend bedarf es stets einer Abmahnung, wenn der Vertragsgegner mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde zumindest nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen.[1]

 
Hinweis

Vor Gericht scheitern zahlreiche Kündigungen an unzureichenden – insbesondere nicht hinreichend konkreten – Abmahnungen. Neben ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörungen bilden Abmahnungen die Sollbruchstellen für Kündigungen. Auch bei Abmahnungen ist daher häufig rechtliche Beratung angezeigt.[2]

Bei besonders schwer wiegenden Verstößen ist eine Abmahnung entbehrlich, weil in diesen Fällen regelmäßig davon auszugehen ist, dass das pflichtwidrige Verhalten das für ein Arbeitsverhältnis notwendige Vertrauen auf Dauer zerstört hat.[3] Diese Grundsätze gelten prinzipiell auch für eine Kündigun...

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