Rz. 38

Ist die Darlegungs- und Beweislast nicht besonders geregelt, kommen die für § 612a BGB maßgeblichen Grundsätze zur Anwendung. Dabei gilt, dass der klagende Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des § 612a BGB und damit auch für den Kausalzusammenhang zwischen benachteiligender Maßnahme und zulässiger Rechtsausübung trägt.[1] Er hat einen Sachverhalt vorzutragen, der auf einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Maßnahme des Arbeitgebers und einer vorangegangenen zulässigen Ausübung von Rechten hindeutet. Der Arbeitgeber muss sich nach § 138 Abs. 2 ZPO im Einzelnen zu diesem Vortrag erklären. Sind entscheidungserhebliche Behauptungen des Arbeitnehmers streitig, sind grds. die von ihm angebotenen Beweise zu erheben.[2]

 

Rz. 39

Daraus folgt, dass der Arbeitnehmer insbesondere auch diejenigen Tatsachen darlegt, die ergeben, dass sein Verhalten rechtmäßig ist. Ist er z. B. infolge der Geltendmachung eines Freistellungsanspruchs bei Kindeserkrankung (§ 45 Abs. 3 SGB V) gekündigt worden, hat er die Tatsachen darzulegen und zu beweisen, wonach ihm ein Freistellungsanspruch zusteht.

 

Rz. 40

Problematisch ist für den Arbeitnehmer die Darlegung der Kausalität zwischen Rechtsausübung und Benachteiligung, insbesondere der von der Rechtsprechung geforderte Umstand, dass die Rechtsausübung der "tragende Beweggrund" für die Kündigung war (vgl. Rz. 27 ff.). Doch auch dafür, dass der Arbeitnehmer wegen seiner Rechtsausübung durch den Arbeitgeber benachteiligt wird, trägt der Arbeitnehmer die Beweislast.[3] Insbesondere kommt die Beweiserleichterung des § 22 AGG (früher § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB (Umkehr der Beweislast)) im Falle des § 612a BGB nicht zur Anwendung.[4] Anders kann es sein, wenn mit der Maßregelung eine Benachteiligung aus einem Grund des § 1 AGG einhergeht.[5]

 

Rz. 41

Dem Arbeitnehmer kann aber ein Anscheinsbeweis zugutekommen.[6] Ein Anscheinsbeweis ist insbesondere dann möglich, wenn ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen der benachteiligenden Maßnahme und der Ausübung des Rechts besteht.[7] Ein Anscheinsbeweis wird auch angenommen, wenn der Arbeitnehmer Tatsachen darlegt, die einen Schluss auf die Benachteiligung wegen der Rechtsausübung wahrscheinlich machen, so z. B., wenn der enge zeitliche Zusammenhang zwischen Rechtsausübung und Benachteiligung evident ist.[8]

Den Anscheinsbeweis kann der Arbeitgeber sodann seinerseits durch substanziierten Vortrag erschüttern mit der Folge, dass nunmehr der Arbeitnehmer den Vollbeweis führen muss. Zur Erschütterung des Anscheinsbeweises hat der Arbeitgeber die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des erfahrungsgemäßen Ablaufs zu beweisen.[9] Die Tatsachen, aus denen eine solche Möglichkeit abgeleitet werden soll, bedürfen indessen des vollen Beweises, d. h. es muss zur Überzeugung des Gerichts feststehen, dass es auch die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs gegeben haben kann.[10]

 

Beispiele

Der Arbeitnehmer wehrt sich mit einem am 18.9. dem Arbeitgeber zugegangenen Anwaltsschreiben gegen eine erteilte Abmahnung. Am 23.9. erklärt der Arbeitgeber die Kündigung.[11] Das Gericht ließ offen, ob die Abmahnung zu Unrecht ergangen war.

Am 17.4. fordert der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber möge die gesetzlich vorgeschriebenen Ladungssicherungsmittel für einen durchzuführenden Transport zur Verfügung stellen. Mit Schreiben vom 19.4. wird dem Arbeitnehmer gekündigt.[12]

Der Arbeitnehmer meint, er sei gekündigt worden, nachdem er seine ständig zu leistenden Überstunden und die ständig hohe Arbeitsbelastung in einem Gespräch vom 10.9.2013 geltend gemacht habe. Daraus vermochte das Gericht nicht herzuleiten, dass das wesentliche Kündigungsmotiv die Geltendmachung von Überstundenvergütung war. Es liege kein offensichtlicher Zusammenhang zwischen benachteiligender Maßnahme und Rechtsausübung vor; ein Anscheinsbeweis sei daher nicht gegeben.[13]

Grds. dürfte jedoch angesichts des Umstands, dass die Regelung der Beweiserleichterung des § 22 AGG (früher § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB) keine (entsprechende) Anwendung findet, bei der Annahme eines ausreichenden Anscheins Zurückhaltung geboten sein. Keineswegs darf der Maßstab des Anscheinsbeweises dahin führen, dass eine dem§ 22 AGG ähnliche Verteilung der Darlegungs- und Beweislast eintritt. Bei hinreichender Darlegung durch den Arbeitnehmer muss das Gericht sodann aufgrund des Vortrags des Arbeitgebers davon überzeugt sein, dass – entgegen dem ersten Anschein – ein atypischer Geschehensablauf vorlag; erst dann fällt die volle Darlegungs- und Beweislast an den klagenden Arbeitnehmer zurück.[14]

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