Rz. 31

Es verstößt nicht gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB, wenn einem Arbeitnehmer, für dessen Arbeitsverhältnis kein allgemeiner Kündigungsschutz gilt, während oder sogar wegen einer Erkrankung gekündigt wird.[1] Begründet wird dies vielfach damit, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 612a BGB lägen nicht vor, wenn ein Arbeitnehmer erkrankt. Es fehle an einer Rechtsausübung, denn der Arbeitnehmer mache kein Recht geltend, sondern sei wegen der bestehenden Arbeitsunfähigkeit nicht verpflichtet, Arbeitsleistungen zu erbringen.[2] Eine Kündigung während der Probezeit stellt dann keine verbotene Maßregelung dar, wenn sie durch eine Krankheit einschließlich ihrer betrieblichen Auswirkungen veranlasst ist.

Anders liegt es aber, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in Kenntnis seiner Erkrankung zur Arbeitsleistung auffordert und ihm kündigt, weil dieser sich weigert.[3]

Ein wegen Krankheit arbeitsunfähiger Arbeitnehmer ist von der Pflicht zur Arbeitsleistung befreit und berechtigt, der Arbeit fernzubleiben. Droht der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, wenn der Arbeitnehmer nicht trotz Arbeitsunfähigkeit zur Arbeit erscheint, und kündigt der Arbeitgeber unmittelbar nach der Weigerung des Arbeitnehmers, die Arbeit aufzunehmen, das Arbeitsverhältnis, liegt daher ein Sachverhalt vor, der eine Maßregelung i. S. d. § 612a BGB indiziert.[4]

Die Reaktion mit einer Kündigung auf die Geltendmachung von Entgeltfortzahlungsansprüchen gegenüber dem Arbeitgeber stellt nicht ohne Weiteres eine Maßregelung dar, zumal wenn tragendes Motiv die erneuten Fehltage und die hierdurch ausgelösten personellen und wirtschaftlichen Folgen für den Kleinbetrieb gewesen sind. Können die betrieblichen Folgen krankheitsbedingter Fehlzeiten einen gesetzlich akzeptierten und grds. schutzwerten Belang für eine Kündigung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber i. S. d. § 1 KSchG darstellen, können sie per se nicht zugleich ein nach § 612a BGB verbotenes Kündigungsmotiv sein.[5]

Kündigt der Arbeitgeber, weil der Arbeitnehmer von seinem Recht Gebrauch gemacht hat, nach § 45 Abs. 1 Satz 3 SGB V bei Erkrankung eines Kindes eigenmächtig von der Arbeit fernzubleiben, kann die Kündigung gegen § 612a verstoßen.[6]

Weigert sich der Arbeitgeber nur deshalb mit dem befristet beschäftigten Arbeitnehmer einen unbefristeten Arbeitsvertrag zu schließen, weil der Arbeitnehmer auf einer Betriebsversammlung in seiner Eigenschaft als Leiter des gewerkschaftlichen Vertrauenskörpers gegenüber dem Arbeitgeber Kritik geäußert hat, kommt eine Benachteiligung i. S. d. § 612a BGB in Betracht.[7]

 

Rz. 32

Für hinweisgebende Personen besteht der besondere Schutz vor Benachteiligung nach § 36 HinSchG.[8]

Die auf die Ablehnung eines Änderungsangebots gestützte Kündigung kann eine Maßregelung nur dann sein, wenn sich die Ausgestaltung des Änderungsangebots gewissermaßen als "Racheakt" darstellt; dies ist nicht der Fall, wenn das Änderungsangebot Klarheit über die geschuldeten Arbeiten herbeiführen soll, weil sich der Arbeitnehmer entgegen seiner Zusicherung bei Vertragsschluss geweigert hatte, die Arbeiten auszuführen.[9]

Daran anschließend wurde eine Maßregelung durch eine Kündigung verneint, die die Arbeitgeberin als Inhaberin eines Friseurbetriebs nach pandemiebedingter Betriebsschließung durch Allgemeinverfügung im März 2020 erklärte. Sie hatte der Arbeitnehmerin eine Vereinbarung zur Einführung von Kurzarbeit angeboten, die die Arbeitnehmerin abgelehnt hatte. Das LAG Nürnberg erachtete es als "legitimes Ziel der Einführung von Kurzarbeit","bei Arbeitsausfall gerade dem Annahmeverzugs- und Betriebsrisiko des Arbeitgebers zum Zwecke des Erhalts der Arbeitsplätze zu begegnen". Das Gericht stellte für das Vorliegen einer Maßregelung nicht darauf ab, ob die von angebotenen Regelungen zur Einführung der Kurzarbeit einer Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB standhalten würden und ob die Vereinbarung, wenn sie zustande gekommen wäre, ggf. insgesamt unwirksam wäre.[10]

Kündigt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer, der einen Antrag auf Gewährung von Vorruhestandsgeld gestellt hat, nur deshalb, um den Eintritt des Vorruhestands zu verhindern, so liegt eine Maßregelung nach § 612a BGB vor.[11]

Dasselbe gilt, wenn tragendes Motiv für ihren Ausspruch eine den Arbeitgeber belastende wahrheitsgemäße Zeugenaussage des Arbeitnehmers im Rahmen eines Strafverfahrens war[12]; wenn der Arbeitnehmer den Arbeitgeber auffordert, die gesetzlich vorgeschriebenen Ladungssicherungsmittel für Transportfahrten bereitzustellen[13]; wenn der Arbeitgeber kündigt, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise versucht hat, aus einem erstinstanzlichen Urteil seine Weiterbeschäftigung nach § 888 ZPO zu vollstrecken[14] und wenn der tragende Beweggrund in einer vorausgegangenen Kündigung des Arbeitnehmers besteht[15].

Der Rechtsgedanke des § 84 Abs. 3 BetrVG zeigt, dass allein die Ausübung eines dem Arbeitnehmer zustehenden Beschwerderechts für sich eine Kündigung nicht rechtfertigen...

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