Rz. 1

Die Norm des § 612a BGB drückt als allgemeines Benachteiligungsverbot[1] einen allgemeinen Rechtsgedanken aus. Sie sichert abstrakt die faktische Ausübbarkeit des Rechts, indem sie die Furcht des Arbeitnehmers vor einer disziplinierenden Maßnahme des Arbeitgebers bei Ausübung des Rechts beseitigt und auf diese Weise das auszuübende Recht selbst flankierend schützt.

Der Zweck des Maßregelungsverbots besteht in dem Schutz der Willensfreiheit des Arbeitnehmers[2] und damit im Schutz der sozialen Wirksamkeit des Rechts, der Rechtsposition, die dem Arbeitnehmer zusteht, oder seiner rechtlich geschützten Verhaltensweise. Das Benachteiligungsverbot soll, wie das BAG formuliert, den Arbeitnehmer in seiner Willensfreiheit bei der Entscheidung darüber schützen, ob er ein Recht ausüben will oder nicht. Diese Entscheidung soll er ohne Furcht vor wirtschaftlichen oder sonstigen Repressalien des Arbeitgebers treffen können.[3]

 

Rz. 2

Das Maßregelungsverbot ist nicht dispositiv[4], weil kein Fall vorstellbar ist, in dem einem Arbeitnehmer zugemutet werden könnte, eine – begriffsimmanent abzulehnende – Benachteiligung als Reaktion auf eine Rechtsausübung hinzunehmen, und zwar auch dann nicht, wenn das auszuübende Recht selbst zwar dispositiv ist, aber nicht abbedungen wurde.

Aus der Geltungsbeschränkung auf den Arbeitnehmer unter Ausschluss des Dienstverpflichteten und der arbeitnehmerähnlichen Person kann rückgeschlossen werden, dass der Gesetzgeber die Gefahr der Disziplinierung wegen zulässiger Rechtsausübung als eine Eigenheit des Arbeitsverhältnisses ansieht und daher die dem Arbeitsverhältnis zugrunde liegende strukturelle Ungleichgewichtslage, d. h. die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers, Ursprung der Disziplinierungsgefahr ist.

 

Rz. 3

Grds. ist für § 612a BGB weder die Art der Kündigung noch die Art des Arbeitsverhältnisses von Bedeutung. § 612a BGB ist z. B. anwendbar auf ordentliche und außerordentliche Kündigungen sowie auf befristete und unbefristete Arbeitsverhältnisse. Das Arbeitsverhältnis muss jedoch bestehen; nicht anwendbar ist die Vorschrift daher auf Stellenbewerber.[5]

 

Rz. 4

Die Bestimmung des § 612a BGB spielt im Bereich des Kündigungsrechts vor allem bei der Kündigung von Arbeitsverhältnissen, die von der Geltung des allgemeinen Kündigungsschutzes nicht erfasst sind (§ 1 Abs. 1, § 23 Abs. 1 Sätze 2, 3 KSchG), eine hervorgehobene Rolle.

[1] Staudinger/Richardi/Fischinger, Neubearb. 2020, § 612a BGB, Rz. 4.
[2] MünchKommBGB/Müller-Glöge, 9. Aufl. 2023, § 612a BGB, Rz. 2.
[3] BAG, Urteil v. 21.9.2011, 7 AZR 150/10, NZA 2012, 317 ff. w. m. N.
[4] MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 612a BGB, Rz. 2; HWK/Thüsing, Arbeitsrecht, 10. Aufl. 2022, § 612a BGB, Rz. 2.

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