Rz. 48

Bezweckt die Sonderzahlung auch die Vergütung von Betriebstreue oder einen anderen Nebenzweck, so ist sie mehr als eine angesparte Vergütung pro rata temporis und kann daher nicht der ausgefallenen Zeit anteilig zugeordnet werden. Ohne ausdrückliche Kürzungsvereinbarung ist daher eine Minderung wegen ausgefallener Arbeitszeit nicht möglich. Mit Kürzungsklausel ist aber auch – anders als beim Entgelt im engeren Sinne – eine überproportionale Kündigung möglich: Mehrfach stellte das BAG fest, die TV-Parteien könnten allgemein bestimmen, in welchem Umfang eine tarifliche Sonderzahlung durch Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung ausgeschlossen oder gemindert werden soll[1] und hat eine zeitanteilige, proportionale Kürzung ausdrücklich gebilligt.[2] Es ist kein Grund ersichtlich, warum dies nicht auch für eine Kürzungsvereinbarung in einer BV oder einem Arbeitsvertrag gelten soll. Problematisch erscheint freilich die überproportionale Kürzung. Zu finden sind solche Regelungen vor allem als Anwesenheitsprämien, die einen Anspruch generell an die tatsächliche Arbeitsleistung knüpfen und eine überproportionale Kürzung für Fehlzeiten vorsehen. § 4a EFZG erklärt die Kürzung wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten in Grenzen für zulässig. Für andere Gründe der Fehlzeit und insbesondere für das Arbeitskampfrecht fehlt weiterhin eine Regelung. Eine analoge Anwendung des § 4a EFZG dürfte ausscheiden. Eine Gesetzeslücke existiert zwar, aber die Sachverhalte sind nicht vergleichbar: Hier versucht der Gesetzgeber eine Balance zwischen dem Gesundheitsschutz des Arbeitnehmers und dem Interesse des Arbeitgebers am Schutz vor unberechtigtem Krankfeiern.[3] Damit hat das Streikrecht des Arbeitnehmers nichts gemein, denn ein "unberechtigtes" Streiken soll durch solche Regelungen nicht verhindert werden. Bedenken gegen die rechtliche Zulässigkeit solcher Regeln nähren das Maßregelungsverbot des § 612a BGB und die Koalitionsbetätigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG. Auch die Folgen eines tarifvertraglichen Maßregelungsverbots werden unterschiedlich beurteilt: Teilweise geht man davon aus, dass auch die überproportionale Kürzung möglich sein kann. Dass der Streikende nicht anwesend ist, sei nicht zu leugnen, und mit einer – rechtlich problematischen[4] – Streikbruchprämie habe dies nichts zu tun. Die Kürzung dürfe nur nicht unverhältnismäßig sein, was aber durchaus nicht bei jeder überproportionalen Kürzung der Fall sei.[5] Dem folgte das BAG, das es für zulässig hielt, eine monatliche Anwesenheitsprämie nicht zu zahlen, weil ein Arbeitnehmer streikbedingt die in der Prämienregelung geforderte volle monatliche Betriebsanwesenheit nicht erfüllt hat.[6]

 

Rz. 49

Eine strengere Sicht und das Verbot jeglicher überprortionaler Kürzung erscheint vorzugswürdig: Nicht erheblich kann es sein, dass die Kürzungsregelung der Anwesenheitsprämie sich nicht nur auf arbeitskampfbedingte Ausfallzeiten bezieht, sondern andere Abwesenheitsgründe mit einbezieht. Jeder Kürzungsgrund muss für sich betrachtet werden, wie dies auch die Rspr. stets so gehandhabt und Kürzungen wegen Fehlzeiten beim Mutterschutz anders behandelt hat als bei Krankheit.[7] Betrachtet man nun die Kürzung bei Streikteilnahme für sich, scheint ein legitimes Interesse des Arbeitgebers für eine überproportionale Kürzung nicht ersichtlich: § 612a BGB verbietet jede Maßregelung eines Arbeitnehmers, weil er in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Die Streikteilnahme ist eine zulässige Rechtsausübung, und die überproportionale Kürzung ist mehr als bloß der automatisch eintretende Nachteil, der notwendige und gesetzlich vorgesehene Konsequenz der Rechtsausübung ist. Vielmehr macht der Arbeitgeber dadurch die Streikteilnahme "teurer", der Arbeitnehmer verliert mehr als seinen zeitanteiligen Lohn. Auch ein Blick auf Art. 9 Abs. 3 GG legt dies nahe: Eine überproportionale Kürzung wäre eine gegen die Koalitionsbetätigung des Arbeitnehmers gerichtete Maßnahme. Diese kann zwar zulässig sein im Arbeitskampf, denn auch die Aussperrung richtet sich ja gegen die Koalitionsbetätigung des Arbeitnehmers. Die Kürzung einer Jahressonderzahlung ist jedoch kein Arbeitskampfmittel. Mag man zusätzliche Zahlungen zur Beeinflussung der Streikbereitschaft für zulässig halten, so ist eine Minderung des ohnehin geschuldeten Entgelts nicht hinzunehmen.

[1] BAG, Urteil v. 3.8.1999, 1 AZR 735/98, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 156.
[2] BAG, Urteil v. 3.8.1999, 1 AZR 735/98, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 156.
[3] Vgl. die Gesetzgebungsmaterialien BT-Drucks. 13/4612 S. 16; Thüsing, NZA 1997, 728.
[5] Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht Bd. I, S. 1092.

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