Rz. 6

Nach § 138 Abs. 1 BGB ist ein Rechtsgeschäft nichtig, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Zweck und Beweggrund zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren ist. Nach Definition des BAG[1] ist ein Rechtsgeschäft sittenwidrig, wenn es nach seinem Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht. Verstößt das Rechtsgeschäft – wie eine an sich neutrale Kündigung – nicht bereits seinem Inhalt nach gegen die grundlegenden Wertungen der Rechts- oder Sittenordnung, muss ein persönliches Verhalten des Handelnden hinzukommen, welches diesem zum Vorwurf gemacht werden kann. Hierfür genügt es im Allgemeinen nicht, dass vertragliche Pflichten verletzt werden. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln oder der zutage tretenden Gesinnung ergeben kann.

Dies ist aufgrund einer umfassenden Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorliegenden relevanten Umstände zu beurteilen.[2] Im Grundsatz gilt nach der Rechtsprechung des BAG, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit nur in besonders krassen Fällen in Betracht kommt.[3] An die Sittenwidrigkeit einer Kündigung sind strenge Anforderungen zu stellen.[4] Der Vorwurf ist nur dann berechtigt, wenn die Kündigung auf einem verwerflichen Motiv des Kündigenden beruht, wie insbesondere Rachsucht oder Vergeltung, oder wenn sie aus anderen Gründen dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht.[5] Nach neuerer Rechtsprechung des BAG genügt es in subjektiver Hinsicht, wenn der Handelnde die Tatsachen kennt, aus denen sich die Sittenwidrigkeit ergibt oder wenn er sich der Kenntnis bewusst verschließt oder entzieht; dagegen sind ein Bewusstsein der Sittenwidrigkeit und eine Schädigungsabsicht nicht erforderlich.[6] Der Willkürvorwurf scheidet aus, wenn ein irgendwie einleuchtender Grund für die Rechtsausübung vorliegt; ein solcher ist bei einem auf konkreten Umständen beruhenden Vertrauensverlust grundsätzlich auch dann gegeben, wenn die Tatsachen objektiv nicht verifizierbar sind.[7] Schließlich ist, insbesondere bei einer Kündigung im Kleinbetrieb, im Rahmen der Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB der objektive Gehalt der Grundrechte zu berücksichtigen[8]: Der durch die zivilrechtlichen Generalklauseln vermittelte verfassungsrechtliche Schutz ist um so schwächer, je stärker die mit der Kleinbetriebsklausel des § 23 Abs. 1 KSchG geschützten Grundrechtspositionen des Arbeitgebers im Einzelfall betroffen sind. Hier geht es vor allem darum, Arbeitnehmer vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu schützen.[9]

 

Rz. 7

Ob eine Kündigung wegen Sittenwidrigkeit unwirksam ist, kann nur eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls ergeben.[10] Zu berücksichtigen ist dabei auch, ob der Arbeitgeber einen Kündigungsgrund geltend macht, der nach § 626 BGB bzw. § 1 KSchG an sich geeignet ist, eine Kündigung zu rechtfertigen. Macht der Arbeitgeber von einem Kündigungsrecht Gebrauch, das ihm nach den gesetzlichen Vorschriften zusteht, so wird regelmäßig das Unwerturteil nicht gerechtfertigt sein, die Kündigung verstoße gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden.

[4] BAG, Urteil v. 23.4.1981, 2 AZR 1091/78, juris.
[7] BAG, Urteil v. 5.12.2019, 2 AZR 107/19, Rz. 17 m. w. N., AP BGB § 138 Nr 74.
[8] BAG, Urteil v. 5.12.2019, 2 AZR 107/19, Ls. 3, AP BGB § 138 Nr 74.
[10] BAG, Urteil v. 28.4.1994, 2 AZR 726/93, RzK I 8k Nr. 6; BAG, Urteil v. 1954, 2 AZR 36/53, AP KSchG 1969 § 3 Nr. 5; BAG, Urteil v. 23.11.1961, 2 AZR 301/61, AP BGB § 138 Nr. 22.

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