Rz. 3

Von größerer arbeitsrechtlicher Bedeutung ist hingegen die Anfechtung von Arbeitsverträgen wegen eines Irrtums über eine Eigenschaft des Arbeitnehmers gemäß Abs. 2.[1] Der Irrtum des Arbeitgebers muss sich auf solche Eigenschaften des Arbeitnehmers beziehen, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden.

 
Hinweis

Verkehrswesentliche Eigenschaften einer Person bestehen neben ihren körperlichen Merkmalen auch in ihren tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen und Beziehungen zur Umwelt, soweit sie nach der Verkehrsanschauung für die Wertschätzung und die zu leistende Arbeit von Bedeutung und nicht nur vorübergehender Natur sind.[2] Die verkehrswesentliche Eigenschaft muss sich auf die Eignung der Person für die Arbeit auswirken.[3]

Eine weitere Voraussetzung für eine Anfechtung ist nach § 119 Abs. 1 BGB, dass der Arbeitgeber seine Willenserklärung "bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben hätte".[4] Hinsichtlich der Frage, wann eine Eigenschaft verkehrswesentlich ist, kann grundsätzlich das Fragerecht des Arbeitgebers herangezogen werden. Besteht ein Fragerecht und stellt der Arbeitgeber die Frage, dann wird er bei falscher Beantwortung regelmäßig auch zu einer Anfechtung gemäß Abs. 2 berechtigt sein.[5] Durch seine Frage zeigt der Arbeitgeber, dass die Eigenschaft für ihn wesentlich ist.

 

Rz. 4

Der Arbeitgeber muss sich über eine konkrete verkehrswesentliche Eigenschaft des Arbeitnehmers irren. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht bereits dann erfüllt, wenn die Leistung des Arbeitnehmers nicht den Erwartungen des Arbeitgebers entspricht. Eine Anfechtung ist mithin nicht bei einer reinen Fehlbeurteilung des Arbeitgebers hinsichtlich der allgemeinen Fähigkeiten des Arbeitnehmers möglich. Insofern besteht bereits keine Fehlvorstellung über eine hinreichend konkrete Eigenschaft des Arbeitnehmers.[6] Geschützt ist das Nichtwissen von konkreten Eigenschaften als Voraussetzung für die Beurteilung, ob der Arbeitnehmer für die vorgesehene Arbeitsleistung geeignet ist. Einen Anfechtungsgrund i. S. v. Abs. 2 können allerdings Mängel an fachlicher Vorbildung als notwendige Voraussetzung für die Erbringung einer Arbeitsleistung darstellen. Insofern besteht eine korrespondierende Offenbarungspflicht des Arbeitnehmers hinsichtlich seiner fachlichen Qualifikation.[7] Der Arbeitgeber wird auch bei gesundheitlichen Mängeln des Arbeitnehmers zu einer Anfechtung berechtigt sein, wenn der Arbeitnehmer durch sie an der Erbringung der Arbeitsleistung gehindert oder seine Eignung für die vertraglich vereinbarte Tätigkeit wesentlich eingeschränkt ist.[8]

 

Rz. 5

Keine verkehrswesentliche Eigenschaft ist die Schwangerschaft einer Bewerberin, da diese keinen Dauerzustand darstellt.[9] Bei befristeten Verträgen nahm das BAG das Vorliegen eines Anfechtungsgrundes an, wenn die Arbeitnehmerin aufgrund von Beschäftigungsverboten oder Beschäftigungsbeschränkungen für eine im Hinblick auf die Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses erhebliche Zeit ausfällt.[10] Diese Rechtsprechung ist jedoch als unvereinbar mit dem AGG abzulehnen. Ebenfalls unvereinbar mit dem AGG und den zugrunde liegenden europarechtlichen Vorschriften ist die Anfechtung der Erklärung des Arbeitgebers, die Arbeitnehmerin könne an ihren Arbeitsplatz vor dem Ende des Erziehungsurlaubs zurückkehren, sofern Anfechtungsgrund der Irrtum über das Bestehen einer erneuten Schwangerschaft der Arbeitnehmerin ist. Art. 2 Abs. 1 der RL 76/207/EWG verbietet in einem solchen Fall die Anfechtung der Erklärung.[11]

 

Rz. 6

Ist ein Arbeitnehmer aufgrund seiner Schwerbehinderteneigenschaft nicht in der Lage, die vertraglich vereinbarte Leistung zu erbringen, ist die fehlende Behinderung also wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung für die Tätigkeit[12], kann der Arbeitgeber gem. Abs. 2 anfechten. Auch hier kommt es für die Beurteilung über das Vorliegen eines Anfechtungsgrunds auf das Bestehen einer Offenbarungspflicht des Arbeitnehmers an.[13]

 

Rz. 7

Vorstrafen stellen keine verkehrswesentlichen Eigenschaften dar und berechtigen den Arbeitgeber somit grundsätzlich nicht zu einer Irrtumsanfechtung. Die Kenntnis von Vorstrafen kann jedoch im Einzelfall einen Rückschluss auf persönliche Eigenschaften (Zuverlässigkeit, Charakterfestigkeit) des Arbeitnehmers gewähren, sodass die diesbezügliche Unkenntnis den Arbeitgeber zu einer Anfechtung berechtigt. Für ein Anfechtungsrecht ist der Zusammenhang von Vorstrafe und Art der angestrebten Tätigkeit wesentlich. Es ist also genau zu prüfen, ob die vermeintlichen charakterlichen Schwächen, die durch die Vorstrafen nahegelegt werden, von maßgebender Bedeutung für die vereinbarte Tätigkeit sind.[14] So sind für die Besetzung einer Tätigkeit als Kraftfahrer nur verkehrsrechtliche Vorstrafen, nicht aber solche im Zusammenhang mit Vermögensdelikten von Bedeutung. Vorstrafen berechtigen auch dann nicht zu einer Anfechtung, wenn sich der Bewerber gem. § 53 BZRG als unbestraft bezeichnen kann.[15]

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