Rz. 26

Bezugspunkte für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit sind grundsätzlich

  • der versicherungsrechtliche Status des Betroffenen zum Zeitpunkt der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit einerseits und
  • die Arbeitsanforderungen der letzten (versicherten) Erwerbstätigkeit vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit anderseits.

Die Arbeitsunfähigkeit ist danach zu beurteilen, welche konkreten Tätigkeitsmerkmale und Belastungen die Arbeit/Tätigkeit/Aufgabe geprägt haben. Einzubeziehen sind auch die gesundheitlichen Belastungen für die Zurücklegung des Weges zur Arbeitsstätte und zurück.

Hinsichtlich der Kriterien ist zu unterscheiden zwischen

  1. Arbeitnehmern, die in einem Beschäftigungsverhältnis stehen (Rz. 27),
  2. Arbeitnehmern, die das Beschäftigungsverhältnis während der Arbeitsunfähigkeit verlieren (Rz. 28),
  3. Selbständig Tätigen, die mit Anspruch auf Krankengeld versichert sind (Rz. 29),
  4. Arbeitslosengeldbeziehern i.S. des SGB III (Rz. 30) und
  5. Rehabilitanden, die Übergangsgeld beziehen und an ihrer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht mehr weiter teilnehmen können (Rz. 31).

2.3.1 Arbeitnehmer, die in einem Beschäftigungsverhältnis stehen

 

Rz. 27

Bei einem Arbeitnehmer sind nicht die allgemeinen Arbeitsanforderungen an eine bestimmte Berufsgruppe zu beurteilen, sondern dessen tatsächlichen individuellen Arbeitsanforderungen und -bedingungen, die das bisherige Arbeits- bzw. Beschäftigungsverhältnis im Wesentlichen geprägt haben (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 AU-RL). Aus diesem Grund hat der behandelnde Arzt den Versicherten vor Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zur Ausgestaltung der aktuell ausgeübten Tätigkeit und den damit verbundenen Anforderungen und Belastungen zu befragen (§ 2 Abs. 5 AU-RL).

Auch bei längeren Arbeitsunfähigkeitszeiten bleibt als Maßstab immer die zuletzt ausgeübte Tätigkeit (= Anforderungen und Bedingungen des letzten Arbeitsplatzes) maßgebend. Unbedeutend ist, ob es sich bei der zuletzt ausgeübten Tätigkeit um den ursprünglich erlernten Beruf handelt. Ein Verweis auf eine anders geartete Tätigkeit (z.B. Innendienst statt Außentätigkeit) ist nur mit Einwilligung des Arbeitnehmers möglich.

Allerdings: Ist der Arbeitgeber aufgrund seines durch den Arbeitsvertrag begründeten Direktionsrechts berechtigt, den Versicherten auf einen anderen Arbeitsplatz zu versetzen, endet die Arbeitsunfähigkeit mit der Zuweisung dieses Arbeitsplatzes, wenn der Versicherte dem anderen Arbeitsplatz gesundheitlich gewachsen ist; dabei sind für die Frage der Wirksamkeit der Versetzung neben den arbeitsrechtlichen Maßstäben auch die sich aus der Art der Erkrankung ergebenden Einwirkungen zu berücksichtigen. Solange das Arbeitsverhältnis besteht, können Versicherte nicht auf Tätigkeiten bei einem anderen Arbeitgeber "verwiesen" werden (BSG, Urteil v. 7.8.1991, 1/3 RK 28/89; vgl. hierzu auch BSG, Urteil v. 16.9.1986, 3 RK 27/85).

2.3.2 Arbeitnehmer, die während der Arbeitsunfähigkeit das Beschäftigungsverhältnis verlieren

 

Rz. 28

Hier ist zwischen Versicherten

  1. ohne anerkannten Ausbildungsberuf (An- oder Ungelernte) und
  2. mit anerkanntem Ausbildungsberuf

zu unterscheiden. Ob ein anerkannter Ausbildungsberuf vorliegt, ergibt sich aus dem vom Bundesinstitut für Berufsausbildung jährlich herausgegebenem "BiBB-Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe" (https://www.bibb.de/de/40.php, zuletzt abgerufen am 31.3.2022).

zu a)

Versicherte, bei denen nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit das Beschäftigungsverhältnis endet und die aktuell keinen anerkannten Ausbildungsberuf ausgeübt haben (An- oder Ungelernte), sind nur dann arbeitsunfähig, wenn sie die letzte oder eine ähnliche Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausüben können (§ 2 Abs. 4 Satz 1 AU-RL; vgl. auch BSG, Urteil v. 9.12.1986, 8 RK 12/85). Es sind nicht mehr nur die konkreten Verhältnisse des letzten Arbeitsplatzes maßgebend.

Die Krankenkasse informiert den Vertragsarzt über das Ende der Beschäftigung und darüber, dass der Arbeitnehmer an- oder ungelernt ist, und nennt ähnlich geartete Tätigkeiten. Beginnt während der Arbeitsunfähigkeit ein neues Beschäftigungsverhältnis, so beurteilt sich die Arbeitsunfähigkeit ab diesem Zeitpunkt nach dem Anforderungsprofil des neuen Arbeitsplatzes (§ 2 Abs. 4 Satz 2 und 3 AU-RL; vgl. auch BSG, Urteil v. 15.11.1984, 3 RK 21/83).

Bezüglich der Frage, was bei einem Versicherten, dessen Beschäftigungsverhältnis nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit endete, als ähnlich geartete Tätigkeit zu verstehen ist, hat das BSG mit Urteil v. 19.1.1971 (3 RK 42/70) festgestellt, dass der Rahmen der Tätigkeiten, die einem ungelernten Arbeiter zugemutet werden kann (Verweisungstätigkeit), relativ weit zu ziehen ist. Trotzdem ist eine Verweisung auf eine andere Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt nur möglich, wenn folgende (wegen der Individualität nicht vollständig aufgezählten) Faktoren der bisher verrichteten Arbeit im Wesentlichen gleichen:

  • der bisherige Aufgabenbereich und die Art der Verrichtungen,
  • die erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten,
  • die körperliche und nervliche Belastung,
  • die Einarbeitungszeit (darf nicht zu lang sein),
  • der Einfluss auf die Lebens...

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