Rz. 4

Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen (§§ 72 ff.), Einrichtungen (z. B. nach § 119b) sowie zugelassene Krankenhäuser (§ 108) haben eine Mitteilungspflicht gegenüber den Krankenkassen (Satz 1). Die Mitteilungspflicht wird ausgelöst, sobald dem Leistungserbringer Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Krankheit

  • eine Berufskrankheit oder ihre Spätfolgen (§ 9 SGB VII),
  • Folge eines Arbeitsunfalls (§ 8 SGB VII),
  • Folge eines sonstigen Unfalls,
  • Folge einer Körperverletzung,
  • Folge einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (ab 1.1.2024: SGB XIV),
  • Folge eines Impfschadens im Sinne des Infektionsschutzgesetzes (ab 1.1.2024: SGB XIV) oder
  • ein drittverursachter Gesundheitsschaden

ist. Mitzuteilen sind die erforderlichen Daten, einschließlich der Angaben über Ursachen und den möglichen Verursacher. Die Daten müssen zumindest Angaben über die Diagnose, die durchgeführte Behandlung, die abgerechneten Vergütungen und mögliche Kausalitätsfragen enthalten, um der Krankenkasse die Prüfung der Einstandspflicht eines anderen Leistungsträgers oder eines Dritten sowie die Höhe eines eventuellen Erstattungsanspruchs zu ermöglichen (Koch, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 294a Rz. 8).

 

Rz. 4a

Auf die Einsichtnahme in die Pflegedokumentation eines Pflegeheims ist die Vorschrift nicht anwendbar (BGH, Urteil v. 23.3.2010, VI ZR 327/08). Möglich ist dagegen ein zivilrechtlicher Anspruch (§ 116 Abs. 1 SGB X i. V. m. den §§ 401 Abs. 1, 412 BGB) auf Herausgabe von Kopien der Pflegedokumentation gegen Kostenerstattung (BGH, Urteil v. 23.3.2010, VI ZR 249/08).

 

Rz. 5

Eine Ausnahme von der Mitteilungspflicht besteht bei Hinweisen auf drittverursachte Gesundheitsschäden, die Folge

  • einer Misshandlung,
  • eines sexuellen Missbrauchs,
  • eines sexuellen Übergriffs,
  • einer sexuellen Nötigung,
  • einer Vergewaltigung oder
  • einer Vernachlässigung von Kindern und Jugendlichen

sein können (Satz 2). Die Ausnahmeregelung gilt auch, wenn die Kindesmisshandlung oder -vernachlässigung länger zurückliegt und eine Behandlung erst im Erwachsenenalter erfolgt (BT-Drs. 17/13770 S. 25). Von der Ausnahmeregelung unberührt bleiben die Vorschriften zur Beratung und Übermittlung von Informationen durch Geheimnisträger (z. B. Ärzte oder Psychotherapeuten) bei Kindeswohlgefährdungen nach Art. 1 § 4 des Bundeskinderschutzgesetzes. Danach sind die Ärzte oder Psychotherapeuten u. a. in bestimmten Fällen befugt, dem Jugendamt die zum Schutz des Kindeswohls erforderlichen Daten mitzuteilen. Mit der Ausnahme von der Mitteilungspflicht wird Befürchtung Rechnung getragen, dass in Fällen von möglichen Kindesmisshandlungen und -vernachlässigungen durch die Mitteilung an die Krankenkasse Konflikte im Umfeld der Betroffenen ausgelöst oder sonstige Wirkungen hervorgerufen werden, die zu einer Gefährdung des Behandlungserfolges einer Therapie führen können.

 

Rz. 6

Willigt der Versicherte ausdrücklich in die Mitteilung an die Krankenkasse ein, ist der Leistungserbringer zur Weiterleitung an die Krankenkasse verpflichtet (Satz 3). Zunächst sind die betroffenen Patienten zu fragen, ob sie in eine Übermittlung der Angaben an die Krankenkassen einwilligen (BT-Drs. 18/10186 S. 42). Nur wenn diese Einwilligung ausdrücklich erteilt wird, besteht eine Übermittlungspflicht. Der Begriff der Misshandlung umfasst sowohl eine physische als auch eine psychische Einwirkung, die einen Gesundheitsschaden zur Folge hat. Die Übermittlung von Daten gegen den Willen des Betroffenen kann sich nachteilig auf den Gesundungs- und Bewältigungsprozess auswirken. Außerdem stärkt die Regelung die Schweigepflicht der behandelnden Ärzte und erleichtert Betroffenen, über Gewalterfahrungen und aktuelle Gefährdungen zu sprechen. Eine sich aus der Übermittlung an die Krankenkasse ergebende Regressforderung kann sich negativ auf den Behandlungserfolg auswirken und Betroffene in massive Gefährdungssituationen bringen.

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