Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialversicherungspflicht. abhängige Beschäftigung. selbständige Tätigkeit. Kauffrau im Einzelhandel. Beschäftigung im Familienunternehmen. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes im Rechtsbehelfsverfahren. Ermessensausübung. Drittbetroffenheit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Einleitung eines Widerspruchsverfahrens ist nicht zwingende Voraussetzung für die Anwendung des § 49 SGB 10.

2. § 49 SGB 10 befreit auch von der in § 45 Abs 1 SGB 10 vorgesehenen Pflicht zur Ermessensausübung.

3. § 49 SGB 10 befreit nur zugunsten des Drittbetroffenen von den Einschränkungen der §§ 45 Abs 1 bis 4, §§ 47 und 48 SGB 10.

 

Orientierungssatz

1. Ein ständiges und bestehendes Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vermag nicht den Status als abhängig Beschäftigter aufzuheben.

2. Die bloße Nichtausübung von Arbeitgeberrechten ist unbeachtlich für die Beurteilung des Vorliegens einer selbständigen Tätigkeit, solange diese nicht wirksam abbedungen sind und jederzeit die Rechtsmacht bestünde, das Direktionsrecht auszuüben.

 

Normenkette

SGB X §§ 49, 45 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, Abs. 3-4, § 48 Abs. 2 S. 3, § 44 Abs. 1; SGB IV § 7 Abs. 1 S. 2, § 28h Abs. 2; VwVfG § 50; SGG § 66 Abs. 2 S. 1, § 78 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 197a Abs. 1 S. 1; SGB III § 25 Abs. 1; SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 1; SGB VI § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; SGB XI § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 1

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 26. Mai abgeändert.

Die Bescheide der Beklagten vom 7. Dezember 2006 und 24. April 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. Juli 2007 werden insoweit aufgehoben, als sie die mit Bescheid vom 25. Januar 2006 erfolgten Feststellungen in der Kranken-, Pflege-, und Arbeitslosenversicherung ab 1. September 1999 betreffen.

Die darüber hinausgehende Klage wird abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt 1/2 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Instanzen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Versicherungspflicht der Klägerin in der Zeit vom 1. September 1999 bis 31. März 2010.

Die 1980 geborene Klägerin ist seit September 1999 Mitglied der Beklagten. Vom 1. September 1999 bis zum 31. August 2002 absolvierte die Klägerin in der G. T. GmbH Orthopädietechnik Sanitätshaus, der Beigeladenen zu 4), eine Berufsausbildung zur Kauffrau im Einzelhandel mit dem Schwerpunkt Textil-Miederwaren. Danach war sie durchgehend bis zum 31. März 2010 im Betrieb tätig. Ihre Tätigkeit endete zu diesem Zeitpunkt, weil sich die GmbH in Liquidation befindet. Unternehmensgegenstand der Beigeladenen zu 4) war der Verkauf und die Herstellung von orthopädischen Heil- und Hilfsmitteln, der Verkauf von Miedermoden und Wäsche sowie Krankenpflegeartikeln. Das Stammkapital der GmbH betrug 25.564,59 EUR und wurde je zur Hälfte von dem Orthopädiemechanikermeister H.-G. T., dem Vater der Klägerin, und der Kauffrau Ga. T., einer Tante der Klägerin, gehalten, die auch alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer der GmbH waren. Die Klägerin war nach ihren eigenen Angaben mit der kaufmännischen Organisation, der Leitung des Verkaufs und der Buchführung betraut. Entsprechend der Jahresmeldungen der Beigeladenen zu 4) nach der Datenerfassungs- und -übermittlungsverordnung (DEÜV) wurde die Klägerin bis zum 31. Januar 2006 dem Personenkreis der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer zugeordnet.

Am 23. Januar 2006 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Überprüfung ihrer Versicherungspflicht. Hierzu machte sie geltend, bei der Beigeladenen zu 4) handele es sich um ein Familienunternehmen, in dem sie eine leitende und anleitende Tätigkeit ausübe. Unternehmensgestaltende Entscheidungen wie z. B. die Firmenerweiterung, Umbauten und die Aufnahme neuer Produkte würden nach Absprache mit ihr gemeinsam getroffen werden. Praktisch komme es nicht vor, dass ihre geschäftsführenden Angehörigen Entscheidungen allein träfen oder gegen ihren Willen durchsetzen würden. Sie sei in den Betrieb nicht wie eine Arbeitnehmerin eingegliedert und unterliege keinem Weisungsrecht bezüglich Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung. Aufgrund ihrer Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau verfüge sie über besondere Branchenkenntnisse im Bereich der kaufmännischen Organisation und Leitung sowie im Verkauf und der Buchführung. Sie sei auch bereit, unternehmerische Risiken mit zu tragen. So habe sie der Beigeladenen zu 4) in der Erweiterungsphase des Unternehmens ein Darlehen in Höhe von 9.900,00 EUR gewährt. Sie verfüge frei über alle Geschäftskonten und sei entsprechend unterschriftsberechtigt. Es gebe keinen schriftlichen Arbeitsvertrag. Eine Genehmigung des Urlaubes erfolge nicht. Nicht in Anspruch genommener Urlaub werde nicht übertragen, ggf. zusätzlich benötigter Urlaub werde gewährt. Betrieblich bedingte Überstunden seien mit dem vereinbarten Bruttogehalt von 2.022,00 EUR...

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