Rz. 13

§ 9 Abs. 2 dehnt den präventiven Grundsatz des Abs. 1 speziell auch auf Anträge wegen Erwerbsminderungsrenten aus. Durch geeignete Teilhabeleistungen (§ 4 i. V. m. § 5) sollen kostenintensive Erwerbsminderungsrenten vermieden oder gemindert werden. Auch wer gesundheitlich eingeschränkt ist, soll für die Erwerbsarbeit aktiviert werden bzw. solange wie möglich seinen beruflichen Tätigkeiten nachgehen können. Damit deckt sich die Zielsetzung des § 9 Abs. 2 SGB IX mit der des § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VI, der wie folgt lautet: Die Leistungen zur Teilhabe haben Vorrang vor Rentenleistungen, die bei erfolgreichen Leistungen zur Teilhabe nicht oder voraussichtlich erst zu einem späteren Zeitpunkt zu erbringen sind.

Der Grundsatz "Rehabilitation vor Rente" ist auch in § 4 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX verankert. In der Praxis bedeutet das:

  1. Wenn ein Mensch von einer Erwerbsminderung bedroht ist und der Rehabilitationsträger davon erfährt, muss mithilfe von Teilhabeleistungen versucht werden, dies zu verhindern. Als Hilfe stehen z. B. in der Rentenversicherung neben den Leistungen nach § 15 auch die nach § 14 SGB VI (Leistungen zur Prävention) zur Verfügung. Bei den Leistungen nach § 14 SGB VI wird nicht einmal gefordert, dass der Versicherte bereits erheblich in seiner Erwerbsfähigkeit gefährdet ist. Für einen Anspruch auf Präventionsleistungen reicht es hier aus, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte davon auszugehen ist, dass der Versicherte im Laufe seines zukünftigen Erwerbslebens frühzeitig erwerbsgemindert wird.

    Der Begriff der Erwerbsfähigkeit wird im Gesetz nicht näher definiert. In Rechtsprechung, Literatur und Praxis versteht man unter Erwerbsfähigkeit übereinstimmend die "Fähigkeit des Versicherten, unter Ausnutzung der Arbeitsgelegenheiten, die sich ihm nach seinen gesamten Erkenntnissen und körperlichen und geistigen Fähigkeiten im ganzen Bereich des wirtschaftlichen Lebens bieten, Erwerbseinkommen zu erzielen" (vgl. BSG, Urteil v. 19.7.1963, 1 RA 6/60). Das BSG definiert in seinen Urteilen v. 29.3.2006 (B 13 RJ 37/05 R) und v. 17.10.2006 (B 5 R 36/06 R) den Begriff der Erwerbsfähigkeit ferner als Fähigkeit des Versicherten, seinen bisherigen Beruf oder seine bisherige Tätigkeit weiter ausüben zu können. Es seien nicht die Kriterien anwendbar, die für die Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung maßgebend sind. Das bedeutet: Der Rentenversicherungsträger darf den Versicherten bei der Prüfung der Erwerbsfähigkeit nicht darauf verweisen, dass der Versicherte trotz der in seinem zuletzt ausgeübten Beruf bestehenden Fähigkeitsstörungen/Beeinträchtigungen noch vollschichtig einen anderen, zumutbaren Beruf (Verweisungsberuf) ausüben kann.

  2. Ist ein Mensch bereits in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert, muss der Rehabilitationsträger prüfen, ob sich mithilfe der Teilhabeleistungen der gesundheitliche Zustand bzw. die Situation des Betroffenen bessert (vgl. § 9 Abs. 2 Satz 2).

    Das Vorliegen einer Erwerbsminderung i. S. d. § 43 SGB VI – z. B. keine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für mindestens 6 Stunden täglich mehr möglich – wird für die Anerkennung der Erwerbsminderung nicht vorausgesetzt. Entscheidend ist die gesundheitsbedingt fehlende berufliche Leistungsfähigkeit in dem arbeitsvertraglich geschuldetem Umfang für einen Zeitraum für voraussichtlich mehr als 6 Monate. Stellt ein Rehabilitationsträger fest, dass dieses Merkmal gegeben ist, ist zügig zu prüfen, ob durch Rehabilitations- und sonstige Teilhabeleistungen Rentenleistungen vermieden oder in ihrer Höhe gemindert werden können.

    Außerdem ist dann, wenn bereits Rente auf Zeit bezogen wird, zu prüfen, ob die weitere Rentenzahlung durch Leistungen zur Teilhabe vermieden oder verringert werden kann. Das gilt auch, wenn eine Teilhabeleistung bei Beziehern einer vollen Erwerbsminderungsrente zwar nicht zu einer unmittelbaren Wiedereingliederung in das Erwerbsleben führt, sich durch die Teilhabeleistung jedoch die Chance für eine spätere Wiederaufnahme einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt innerhalb einer absehbaren Zeit von bis zu 3 Jahren voraussichtlich verbessert.

Die Prüfung hat in angemessenen zeitlichen Abständen zu erfolgen; eine Pflicht zu regelmäßigen Nachuntersuchungen wird allerdings durch § 9 Abs. 2 nicht begründet.

Wegen der Worte "bei erfolgreichen Leistungen" kommt die Durchführung von Teilhabeleistungen in den Fallgestaltungen des § 9 Abs. 2 allerdings nur dann in Betracht, wenn die geplanten Teilhabeleistungen wahrscheinlich (= überwiegend) die in § 4 Abs. 1 aufgeführten Teilhabeziele erreichen können.

Der Begriff "Rentenleistung" ist weit auszulegen und bezieht sich auf alle "Renten-"Leistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, also auf

Bezüglich der allgemeinen Grundsätze wird auf die Ausführungen unter Rz. 6...

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