Rz. 21

Die interdisziplinäre Frühförderung ist handlungs- und alltagsorientiert ausgerichtet und wird als Komplexleistung (vgl. Rz. 5 und 24) angeboten (§ 46 Abs. 3 Satz 2). Sie dauert so lange an, bis das Ziel (z. B. Erlangung der Schulfähigkeit) erreicht wird, endet aber spätestens mit dem Schuleintritt, also mit dem ersten Schultag (§ 46 Abs. 3 Satz 2).

Die Förderung und Therapie umfassen im Wesentlichen folgende Teilleistungen:

  • ärztliche Leistungen (z. B. ärztliche Behandlung des Kindes, Indikationsstellung für Hilfsmittel und Mitwirkung bei deren Anpassung, Vermeidung möglicher Komplikationen und Sekundärschädigungen),
  • medizinisch-therapeutische Leistungen; dazu zählt u. a.

    • die Ergotherapie, um die eingeschränkte Handlungsfähigkeit des Kindes zu unterstützen und damit eine bessere Bewältigung der Alltagstätigkeiten zu erreichen,
    • die Sprachtherapie bzw. Logopädie zur "Heilung" von Sprach-, Sprech- und Stimmstörungen,
    • die physiotherapeutische Leistungen zur Förderung der Eigenaktivität des Kindes.
  • psychologische Leistungen; durch Verhaltensbeobachtungen beim Kind in unterschiedlichen Spiel- und Interaktionssituationen (und/oder der Befragung Dritter) werden Erkenntnisse über das Spielverhalten, die Konzentrationsfähigkeit, Ausdauer und Motivation sowie über die Gefühlslage und sozialen Bindungen des Kindes gewonnen. Obwohl die psychologischen Leistungen hauptsächlich im Rahmen der Diagnostik (vgl. oben) eingesetzt werden, können psychotherapeutische Hilfen während kritischer Phasen während der aktiven Förderung/"Behandlung" notwendig werden, z. B. konsequente Weigerung des Kindes bei bestimmten Aktivitäten.
  • sonder- oder heilpädagogische Förderleistungen (Förderung der Entwicklung des Kindes und der Entfaltung seiner Persönlichkeit mit pädagogischen Mitteln; soziale, heil- und sonderpädagogische Arbeit, Sinnesschulung, psychomotorische Entwicklungsförderung, Vermeidung von speziellen Entwicklungsrisiken in der Lebenswelt des Kindes, Vorbereitung des Kindes für eine Aufnahme in eine Kindertageseinrichtung oder Schule).

    Mögliche Methoden, die auch nach Bedarf ineinander übergehen oder kombinierbar sein können, sind:

    • heilpädagogische Entwicklungsförderung im Einzel- und Gruppensetting verbunden mit beispielsweise Wahrnehmungsförderung,
    • Sprachförderung, um das Kind auf den sprachlichen Entwicklungsstand Gleichaltriger zu bringen,
    • Psychomotorik und Interaktion (Konzept der Persönlichkeitsentwicklung über Erleben, Erfahren und Kommunizieren mit und durch Bewegung, aber auch das Begreifen sozialer Verhaltensweisen wie Toleranz, Rücksicht und Kooperation sowie die angemessene Bewältigung von Konfliktsituationen und Misserfolgen – auch in Wechselbeziehung zu anderen Mitmenschen),
    • heilpädagogische Spieltherapie,
    • heilpädagogisches Gestalten,
    • heilpädagogische Rhythmik und
    • funktionelle Trainingsprogramme (z. B. Marburger Konzentrationstraining).
 
Praxis-Beispiel

Ein Kind wurde bei einer Vorsorgeuntersuchung (nach § 26 Abs. 1 Satz 1 SGB V) auffällig, weil es massiv stottert. Normalerweise würde die Logopädie – also ein Heilmittel i. S. d. § 32 SGB V – für die weitere Behandlung des Kindes ausreichend erscheinen. Da jedoch der Kinderarzt feststellt, dass das Kind unter dem Stottern psychisch leidet und deshalb

  • nur wenig spricht,
  • sich in seinem sozialen Umfeld zurückzieht,
  • wegen der damit verbundenen Passivität über keine altersentsprechende Feinmotorik verfügt und
  • durch Aggressivität in Form von Schreien und Treten auf sich aufmerksam macht,

ist nach Auffassung des Arztes eine ganzheitliche Förderung (also eine Förderung, die auch seelische Einwirkungen erfordert und verhaltensändernde Gesichtspunkte zum Inhalt hat) notwendig. Eine solitäre Heilmittelversorgung (wegen des Stotterns) oder eine solitäre Heilpädagogik ist nach Ansicht des Kinderarztes nicht sinnvoll, da die Fördermaßnahmen aufeinander abgestimmt vollzogen werden sollen. Er veranlasst eine Diagnostik in einem interdisziplinären Frühförderzentrum. Hierzu stellt der Kinderarzt für das Kind eine formlose "Verordnung" (etc.) aus, nach der eine Eingangsdiagnostik bei einer IFF durchgeführt werden soll.

Die Eingangsdiagnostik im Frühförderzentrum bestätigt den Verdacht. Auf der Basis dieser Eingangsuntersuchung wird der Förder- und Behandlungsplan aufgestellt, der eine (ganzheitliche) Förderung des Kindes durch verschiedene Professionen vorsieht, und zwar durch

  • den Psychologen (psychologische Betreuung),
  • den Logopäden/Sprachtherapeut,
  • den Ergotherapeuten (zur Stärkung der Feinmotorik),
  • den Physiotherapeuten/Krankengymnasten (zur Stärkung der Muskulatur),
  • den Sozial-/Heilpädagogen (z. B. Erlernen von entsprechenden Verhaltensweisen im Rahmen der sozialen Integration)

etc. Hierzu fährt die Mutter mit dem Kind ein- bis zweimal in der Woche zu der IFF, in der die Therapie ganzheitlich durchgeführt wird. Zunächst wird das Kind in der Einrichtung heilpädagogisch und psychologisch gefördert, da die notwendige Ergotherapie und Logopädie wegen des unzureichenden Aufmerksamkeitsver...

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