Rz. 20

§ 4 Abs. 2 enthält

  1. die Klarstellung, dass jeder behinderte Mensch zumindest die gleichen Sozialleistungen erhalten kann wie ein gesunder Bürger (Satz 1)

    und

  2. den Grundsatz, dass der für die Hauptleistung zuständige Rehabilitationsträger ganzheitlich zur Leistung verpflichtet ist (Satz 2).
 

Rz. 21

Zu a)

§ 4 Abs. 2 Satz 1 bestimmt, dass jeder behinderte bzw. von Behinderung bedrohte Mensch zunächst die gleichen Sozialleistungen und sonstigen Hilfen wie jeder andere Bürger beanspruchen kann. Wegen der Vorschrift können betroffene Menschen somit auch Leistungen beanspruchen, die nicht zu den Teilhabeleistungen zählen, z. B. Krankenhausbehandlung bei bestehendem Krankenversicherungsverhältnis (vgl. § 39 SGB V). Das SGB IX erweitert nur das Leistungsspektrum im Verhältnis zum Menschen ohne Behinderungen. Als erweiterte Leistung ist hier z. B. das Persönliche Budget (§ 29) zu nennen; es kann nur von Menschen mit einer Behinderung bzw. drohenden Behinderung beansprucht werden.

Kommt eine Leistung außerhalb des SGB IX zum Einsatz, soll diese möglichst so ausgerichtet sein, dass gleichzeitig der Teilhabebedarf mit befriedigt wird. Bei einer stationären Krankenhausbehandlung i. S. d. § 39 SGB V ist also bei einem schwerverletzten, behinderten Menschen darauf zu achten, dass die Teilhabeziele so schnell wie möglich erreicht werden. Beispielsweise sind während der Krankenhausbehandlung bereits in einer möglichst frühen Phase rehabilitative Maßnahmen zu ergreifen, um z. B. Kontrakturen der Gelenke zu vermeiden und damit die Rehabilitation nicht zu gefährden (z. B. Frühmobilisation, § 39 Abs. 1 S. 3 SGB V).

 

Rz. 22

Zu b)

Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 haben die Rehabilitationsträger die Leistungen im Rahmen der für sie geltenden Rechtsvorschriften – z. B. die Krankenkassen im Rahmen der Vorschriften des SGB V – nach den Erfordernissen des Einzelfalls zu erbringen. Die Leistungen müssen bezogen auf die trägerübergreifenden Rehabilitations-/Teilhabeziele so vollständig, umfassend und in der erforderlichen Qualität sein, dass ein anderer Träger für die Erreichung des gleichen Teilhabezieles möglichst nicht mit Leistungen einzutreten hat. Eine von einem Rehabilitationsträger zu erbringende Leistung darf deshalb nicht eingeschränkt werden, weil ein anderer Träger für eine Teilleistung zuständig sein könnte. Das bedeutet z. B., dass der Rentenversicherungsträger, wenn er medizinische Rehabilitationsleistungen i. S. d. § 15 SGB VI erbringt, seine Leistungen bezüglich der medizinischen Rehabilitation so gestalten muss, dass alle versichertenindividuellen medizinischen Teilhabeziele erreicht werden können; als Teilhabeziel darf der Rentenversicherungsträger also nicht nur die (Wieder-)Herstellung der Erwerbsfähigkeit i. S. d. § 10 SGB VI verfolgen, sondern muss auch z. B. die Vermeidung von Pflegebedürftigkeit – also die Vermeidung der Einschränkung der Selbstversorgung – im Blick haben.

 

Rz. 22a

§ 4 Abs. 2 Satz 2 erstreckt sich aber nicht nur auf die Berücksichtigung von trägerübergreifenden Rehabilitations-/Teilhabezielen, sondern auch auf die einheitliche Trägerschaft im gegliederten Sozialleistungssystem. Dadurch sollen Schnittstellenprobleme vermindert und Beeinträchtigungen bei der Nahtlosigkeit von Leistungen vermieden werden.

Die Einheitlichkeit der Trägerschaft zeichnet sich auch bei einem umfangreichen Teilhabebedarf durch eine alles umfängliche Zuständigkeit bis zu dem Zeitpunkt aus, bis dass das rehabilitationsträgerspezifische Teilhabeziel erreicht ist. Ist also z. B. bei einer vom Rentenversicherungsträger durchgeführten medizinischen Rehabilitationsleistung in Bezug auf die Erreichung der Erwerbsfähigkeit das Ziel erreicht, dass der Versicherte seinen berufstypischen Belastungen am Arbeitsmarkt wieder standhalten kann, hat ihn eine weiter bestehende Arbeitsunfähigkeit, die wegen arbeitsplatztypisch besonders hohen Anforderungen (z. B. Tragen von schweren Lasten) besteht, nicht mehr zu interessieren (vgl. hierzu SG Stuttgart, Urteil v. 2.9.2010, S 24 R 9049/08). Ggf. hat dann die Krankenkasse die weiteren Kosten der Rehabilitation zu übernehmen.

Die Einheitlichkeit der Trägerschaft wird allerdings auch durch den gesetzlichen/satzungsmäßigen Leistungsrahmen des jeweiligen Rehabilitationsträgers eingeschränkt. Das bedeutet, dass eine Krankenkasse bei einem Abhängigkeitskranken, der an einer ambulanten Entwöhnungsbehandlung teilnimmt, nicht auch nebenbei die Kosten der Schuldnerberatung (= Leistung nach §§ 76 ff.) zu tragen hat. Ist dagegen die Schuldnerberatung in dem Therapiekonzept der Rehabilitationseinrichtung und somit im Pflegesatz enthalten, kann sie den Pflegesatz nicht mit der Begründung mindern, dass die Schuldnerberatung nicht zum Leistungsspektrum der Krankenkasse zählt.

Gleiches gilt für den Bereich der Adaption. Hier sieht das spezielle Recht der Krankenversicherung (SGB V) eine selbstständige Leistung mit dem Inhalt der Adaption nicht vor (zur Leistungszuständigkeit: vgl. BSG, Urteil v. 26.6.2007, B 1 KR 36/ 06 R). Hi...

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