Rz. 11

Während § 4 Abs. 1 Nr. 1 allgemein auf die Vermeidung, Minderung oder Beseitigung einer drohenden bzw. bereits eingetretenen Behinderung (Teilhabestörung) und auf die Vermeidung ihrer negativen Folgen abstellt, verpflichtet Nr. 2 die Rehabilitationsträger dazu, alles zu tun, um

a) die Erwerbsfähigkeit und
b) die Pflegebedürftigkeit

günstig zu beeinflussen. Dieses Aufgabenfeld der Rehabilitationsträger umfasst auch den noch einmal ausdrücklich in § 9 SGB IX, § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VI, § 31 SGB XI aufgeführten Grundsatz "Rehabilitation vor Rente bzw. Rehabilitation vor Pflege".

Als weiteres Ziel wird

c) die Vermeidung oder Minderung von Sozialleistungen

beschrieben.

 

Rz. 12

Zu a)

In Rechtsprechung, Literatur und Praxis versteht man unter Erwerbsfähigkeit übereinstimmend die "Fähigkeit des Versicherten, sich unter Ausnutzung der Arbeitsgelegenheiten, die sich ihm nach seinen gesamten Erkenntnissen und körperlichen und geistigen Fähigkeiten im ganzen Bereich des wirtschaftlichen Lebens bieten, Erwerbseinkommen zu erzielen" (vgl. BSG, Urteil v. 19.7.1963, SozR § 1246 Nr. 27). Nach Auffassung des SG Lüneburg ist ergänzend hierzu derjenige erwerbsfähig, wer "ein kalkulierbares Maß an Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit in ein Arbeitsverhältnis unter Wettbewerbsbedingungen einbringen kann" (Beschluss v. 7.7.2015, S 33 R 226/15 ER).

Bei den Rehabilitationsträgern wird der Begriff der Erwerbsfähigkeit trägerspeziell unterschiedlich definiert. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden, weil sich die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe nach den für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen richtet (BSG, Urteil v. 20.7.2005, B 1 KR 39/05; vgl. auch BSG, Urteil v. 26.3.2003, B 3 KR 23/02 R).

So ist in der gesetzlichen Unfallversicherung erwerbsfähig, wer die Fähigkeit besitzt, seine Arbeitskraft wirtschaftlich zu verwerten. Erwerbsgemindert ist ein Unfallversicherter mit Blick auf § 56 SGB VII dann, wenn die Einschränkungen mehr als 6 Monate andauern. Entscheidend ist hier eine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 %.

In der gesetzlichen Rentenversicherung versteht man unter Erwerbsfähigkeit die Fähigkeit, eine Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes für mindestens 6 Stunden täglich in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben (vgl. auch § 43 Abs. 3 SGB VI).

Der Begriff der im Gesetz nicht näher definierten Erwerbsfähigkeit ist als Fähigkeit des Versicherten zu verstehen, seinen bisherigen Beruf oder seine bisherige Tätigkeit weiter ausüben zu können; nicht hingegen sind die Kriterien anwendbar, die für die Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsminderung maßgebend sind. Zu prüfen ist, ob der Versicherte unabhängig von den Besonderheiten des gerade innegehaltenen Arbeitsplatzes den typischen Anforderungen des ausgeübten Berufs noch nachkommen kann. Entscheidend sind hier die berufstypischen Belastungen. Arbeitsplatzspezifische Besonderheiten (z. B. besonders schweres Tragen von Lasten) werden bei der Beurteilung nicht berücksichtigt (SG Stuttgart, Urteil v. 2.9.2010, S 24 R 9049/08). Weil der Rentenversicherungsträger Rehabilitationsleistungen mit dem Ziel der Vermeidung einer Erwerbsminderungsrente gewährt, braucht er erst tätig zu werden, wenn die Erwerbsminderung – in die Vergangenheit und in die Zukunft betrachtet – für einen längeren Zeitraum als 6 Monate besteht; denn nach § 101 Abs. 1 SGB VI beginnen die Zeitrenten erst ab dem 7. Kalendermonat nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit.

Eine Gefährdung der Erwerbstätigkeit und damit die Pflicht zur Verhütung einer Erwerbsminderung liegt vor, wenn nach ärztlicher Feststellung wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen und Funktionseinschränkungen damit zu rechnen ist, dass ohne Leistungen zur Teilhabe eine Minderung der Erwerbsfähigkeit eintritt; vorübergehende Erkrankungen (Akutfälle) reichen nicht. Es muss die Gefahr einer "Ausgliederung" aus Arbeit, Beruf und Gesellschaft bestehen. Der Eintritt der Minderung darf nicht nur möglich sein; es muss die begründete Aussicht bestehen, dass sie in absehbarer Zeit eintritt. Die Gefährdung der Erwerbsfähigkeit ist erheblich, wenn nach ärztlicher Feststellung durch die gesundheitlichen Beeinträchtigungen und die damit verbundenen Funktionseinschränkungen in absehbarer Zeit (regelmäßig 3 Jahre) mit einer Minderung der Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben zu rechnen ist. Eine geminderte Erwerbsfähigkeit liegt vor, wenn die Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben nicht unwesentlich eingeschränkt ist und der Versicherte daher nicht mehr in der Lage ist, seinen Beruf normal auszuüben; die Minderung hat im Gegensatz zur Gefährdung bereits zu einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit geführt (LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 15.10.2015, L 7 R 911/15).

Im Sinne des Sozialhilferechts ist erwerbsgemindert, wer wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des ...

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