Rz. 7

Die durch die Behinderung eingeschränkte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben soll soweit wie möglich ausgeglichen werden. Der Begriff der Teilhabe, auch in § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII enthalten, ist gemäß § 1 Satz 1 SGB IX dahin zu verstehen, die Teilhabe daran zu messen, ob es gelingt, die Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden und ihnen entgegenzuwirken (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 10.5.2007, L 8 SO 20/07 R). Ziel ist es, dem behinderten Menschen die Teilnahme auch am öffentlichen und kulturellen Leben und den Kontakt zu seiner sozialen Umwelt zu erhalten und ihm zu ermöglichen, denn jeder Mensch existiert als Person notwendig in sozialen Bezügen (BVerfG, Urteil v. 9.2.2010, 1 BvL 1/09, BVerfGE 125 S. 175). Es reicht somit nicht, die Begegnung und den Umgang mit anderen Menschen im Sinne einer angemessenen Lebensführung zu fördern (BSG, Urteil v. 2.2.2012, B 8 SO 9/10 R).

Unter sozialer Teilhabe ist somit das Leben mit anderen Menschen/Bezugspersonen zu verstehen. Ziel ist es, dem Menschen, der auf Grund seiner Behinderung bzw. drohenden Behinderung von (Teil-)Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ausgegrenzt ist, den Kontakt mit seiner Mit-/Umwelt zu ermöglichen. Unter Kontakt ist nicht nur der mit der Familie und Nachbarschaft, sondern die Teilnahme am öffentlichen und kulturellen Leben und die Begegnung und der Umgang mit Menschen ohne Behinderung zu verstehen (vgl. auch BSG, Urteile v. 19.5.2009, B 8 SO 32/07 R, und v. 29.11.2011, B 2 U 21/10 R).

Das Teilhabeziel umfasst daneben insbesondere die Erreichung eines selbstständigen Lebens in der Gesellschaft. Der Mensch mit Behinderungen muss deshalb durch individuelle, zielgerichtete Leistungen in die Lage versetzt werden, sich selbstbestimmt zu verständigen, zu wohnen und andere Beeinträchtigungen auszugleichen (BSG, Urteil v. 29.11.2011, a. a. O.). Aus § 2 SGB IX bzw. der UN-BRK können keine über §§ 53 ff. SGB XII hinausgehenden individuellen Leistungsansprüche hergeleitet werden (LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 26.9.2012, L 2 SO 1378/11).

Die Hilfen sind so zu gestalten, dass das Teilhabeziel erreicht bzw. gesichert wird. Ein starres Leistungsspektrum ist im Bereich der sozialen Teilhabe nicht vorgesehen, sondern richtet sich nach der individuellen Situation des Betroffenen (einschließlich dessen Kontextfaktoren; vgl. hierzu § 76 Abs. 1 SGB IX und § 53 SGB XII). Leistungsart, -dauer, -weise und -umfang beruhen i. d. R. auf Ermessensentscheidungen des jeweiligen Rehabilitationsträgers, um im Einzelfall die maßgeschneiderte Hilfe zur Verfügung zu stellen (vgl. hierzu auch BSG, Urteil v. 19.5.2009, B 8 SO 32/07 R).

 

Rz. 8

Nach der Rechtsprechung des LSG Nordrhein-Westfalen v. 25.6.2015 (L 9 SO 24/13) zum Bereich des betreuten Wohnens ist das Selbstbestimmungspostulat wesentlicher Bestandteil des gesetzlichen Selbstverständnisses in §§ 1 und 4 Abs. 1 Nr. 5. Bei der Konkretisierung der Leistungen und ihrer Voraussetzungen bedingt es eine angemessene Berücksichtigung der Wohn- und Lebensvorstellungen des behinderten Menschen einschließlich seiner berechtigten Wünsche i. S. d. § 8. Der Sache nach soll der behinderte Mensch z. B. durch Leistungen nach § 76 Abs. 1 so weit wie möglich befähigt werden, alle wichtigen Alltagsverrichtungen in seinem Wohnbereich selbständig vornehmen zu können, sich im Wohnumfeld zu orientieren oder zumindest dies alles mit sporadischer Unterstützung Dritter zu erreichen. Hierzu kann auch die Motivierung des Betroffenen gehören, eine neue Lebenssituation anzunehmen und konstruktiv zu bewältigen.

Eine betreute Wohnmöglichkeit liegt nur dann vor, wenn fachlich geschulte Personen Betreuungsleistungen erbringen, die darauf gerichtet sind, dem Leistungsberechtigten Fähigkeiten und Kenntnisse zum selbstbestimmten Leben zu vermitteln. Dabei darf es sich nicht um sporadische, situativ bedingte Betreuungsleistungen handeln. Vielmehr müssen diese in einer regelmäßigen Form erbracht werden und in eine Gesamtkonzeption eingebunden sein, die auf die Verwirklichung einer möglichst selbständigen und selbstbestimmten Lebensführung ausgerichtet sein muss. Die möglichen Hilfeleistungen, die das erforderliche Merkmal der Betreuung erfüllen, umfassen insbesondere die Vermittlung von Fähigkeiten, sich selbstständig in der Wohnung zurechtzufinden, die Wohnung eigenverantwortlich sauber zu halten, den sozialen Umgang mit den Mitbewohnern und anderen Mietern im Haus zu erlernen, eigene Interessen zu artikulieren und adäquat zu vertreten. Auch die Begleitung in die nähere Umgebung zu Einkäufen, notwendigen Arztbesuchen oder zu in der Nähe wohnenden Familienangehörigen kann z. B. der Hilfe nach § 55 zugeordnet werden, wenn sie das Ziel verfolgt, die leistungsberechtigte Person so an ihre Umgebung zu gewöhnen, dass sie sich nach einer Orientierungs- und Trainingsphase möglichst selbstständig inner- und außerhalb der Wohnung bewegen kann (vgl. auch LSG Nordrhein-...

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