Rz. 355

Unter Berücksichtigung der notwendigen Einzelfallentscheidung, der Interessenabwägung und der Anlegung des Maßstabes der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit für den Arbeitgeber wird nachfolgend allein darauf abgestellt, ob Sachverhalte an sich einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen können oder nicht. Dabei sind bei Ausschluss der ordentlichen Kündigung strenge Maßstäbe anzulegen.

 

Rz. 355a

Die Zustimmungsfiktion zur Kündigung durch das Integrationsamt, die als erteilt gilt, wenn das Integrationsamt nicht innerhalb einer Frist von 2 Wochen nach Antragseingang entschieden hat, greift auch in Fällen einer außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist (BAG, Urteil v. 22.10.2015, 2 AZR 381/14).

Die Zustimmung des Integrationsamts zu einer krankheitsbedingten Kündigung begründet allerdings nicht die Vermutung, dass ein (unterbliebenes) betriebliches Eingliederungsmanagement die Kündigung nicht hätte verhindern können (vgl. BAG, Urteil v. 15.12.2022, 2 AZR 162/22).

 

Rz. 356

Bei folgenden Sachverhalten ist ein wichtiger Grund an sich tendenziell zu bejahen:

  • Gefährdung der Gesundheit betroffener Menschen, z. B. durch nachlässige Arbeit trotz mehrerer Abmahnungen durch eine Patientenbetreuerin.
  • Bewerbung eines leitenden Angestellten bei einem Konkurrenzunternehmen (sog. Abkehrwille), wenn diese Bewerbung geleugnet wird. Grundsätzlich bedeutet der Abkehrwille eines Arbeitnehmers nicht, dass der Arbeitgeber hieraus einen wichtigen Grund zu einer außerordentlichen Kündigung ableiten kann, denn dem Arbeitnehmer kann nicht vorgeworfen werden, dass er von seinem Recht zur freien Arbeitsplatzwahl Gebrauch macht.
  • Nachhaltige Einwirkung auf Arbeitskollegen zur Verleitung zum Vertragsbruch i. S. von Abwerbung, auch im entgeltlichen Auftrag eines Konkurrenzunternehmens.
  • Verstoß gegen ein Alkoholverbot bei Transport von Personen im öffentlichen Nahverkehr. Der Arbeitnehmer darf sich insbesondere nicht in einen Zustand befördern, in dem er sich und andere Personen gefährdet.
  • Strafanzeigen gegen den Arbeitgeber können eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, wenn sie bewusst oder leichtfertig mit falschem Inhalt erstattet werden oder sich als völlig unverhältnismäßig darstellen. Eine außerordentliche Kündigung ist auch schon in Fällen bestätigt worden, in denen der Arbeitnehmer mit der Einschaltung der Presse zu nicht tatsächlich existenten Missständen gedroht hat oder sich der Arbeitnehmer im Taxifunk damit gebrüstet hat, er habe seinen Chef verhaften lassen, nachdem er über den Taxinotruf die Polizei mit der unwahren Behauptung gerufen hatte, er werde von seinem Arbeitgeber bedroht. Auch die Bereitschaft zu Falschaussagen kann eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Ebenso ist der Sachverhalt anders zu beurteilen, wenn der Arbeitnehmer den angezeigten objektiven Sachverhalt richtig dargestellt hat, für das Vorliegen der nach dem Straftatbestand erforderlichen Absicht aber keine Anhaltspunkte bestehen und die Strafanzeige sich deshalb als leichtfertig und unangemessen erweist. Das kann auch der Fall sein, wenn der Arbeitnehmer sich selbst als durch eine Straftat verletzt ansieht, etwa dann, wenn der Vorwurf, dass durch ein bestimmtes Verhalten eine Straftat verübt worden sei, völlig haltlos ist und dem Arbeitnehmer die Haltlosigkeit erkennbar war (BAG, Urteil v. 15.12.2016, 2 AZR 42/16). Eine außerordentliche Kündigung ist auch gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer damit droht, die Presse auf nicht existierende angebliche Missstände aufmerksam zu machen. Ein Arbeitnehmer hat auf die Persönlichkeitsrechte seiner Arbeitskollegen und Vorgesetzten Rücksicht zu nehmen, wenn er vermeintliche Missstände mitteilen will.
  • Die Teilnahme an einem rechtswidrigen Arbeitskampf ohne Irrtum darüber oder die Organisation eines solchen Arbeitskampfes können eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Es kommt ggf. auf den Beteiligungsgrad und etwa hinzutretende Umstände wie Beleidigung, Sachbeschädigung usw. an.
  • Die Nichtvorlage wichtiger Arbeitspapiere kann eine außerordentliche Kündigung im Ausnahmefall dann rechtfertigen, wenn der Arbeitgeber seinerseits dadurch nachhaltig daran gehindert ist, seinen gesetzlichen Verpflichtungen nachzukommen.
  • Werden Arbeitsschutzbestimmungen nicht eingehalten, kann bei einer gewichtigen Gefahrenstellung eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt sein. Unerheblich ist demgegenüber, ob tatsächlich ein Schaden als Folge des Verhaltens eingetreten ist.
  • Bei Arbeitsunfähigkeit kann ausnahmsweise eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer in schwerwiegender Weise gegen seine Pflicht verstößt, im Interesse seines Arbeitgebers alles zur fortschreitenden Genesung beizutragen, sich insbesondere nicht gesundheitswidrig zu verhalten, etwa bei einem anderen Arbeitgeber zu arbeiten, nicht korrespondierenden Freizeitaktivitäten nachzugehen, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschleichen, also Arbeitsunfähigkeit vorzutäuschen. Die ...

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