Rz. 295

Die Abgrenzung von personenbedingten und verhaltensbedingten Kündigungen ist oftmals schwierig. Bei verhaltensbedingten Kündigungen liegt eine willensgesteuerte Verhaltensweise des Arbeitnehmers vor (der Arbeitnehmer kann, will aber nicht). Bei einer personenbedingten Kündigung dagegen liegt der Grund in einem nicht steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers, d. h., er will, kann aber nicht. Daneben kann eine Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse begründet sein (betriebsbedingte Kündigung). In Mischfällen muss eine Primärzuordnung vorgenommen werden. Bei mehreren Kündigungsgründen sind diese zunächst einzeln, ggf. dann in einer Gesamtschau zu prüfen.

 

Rz. 296

Eine personenbedingte Kündigung liegt bei dieser Abgrenzung dann vor, wenn der Arbeitnehmer nicht mehr in der Lage ist, zukünftig seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen (weiterhin) zu erfüllen und dies auf seiner mangelnden Eignung oder seinen persönlichen Fähigkeiten und Eigenschaften beruht und das wiederum die betrieblichen bzw. wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers erheblich beeinträchtigt, der Arbeitgeber zudem keine alternative Beschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz realisieren kann und die Abwägung der Interessen des Arbeitgebers mit denen des Arbeitnehmers ergibt, dass den Interessen des Arbeitgebers ein höheres Gewicht beizumessen ist.

 

Rz. 297

Durch die mangelnde Eignung des Arbeitnehmers kann der Zweck des Arbeitsvertrages jedenfalls aus der arbeitgeberseitigen Sicht nicht (mehr) erfüllt werden, weil der Arbeitnehmer nicht mehr in der Lage ist, die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, z. B. auch dadurch, dass der Arbeitnehmer für die Ausübung der Tätigkeit notwendige und sachlich gerechtfertigte Anforderungen nicht mehr erfüllt, nicht über erforderliche Fertigkeiten oder Talente verfügt. Auch objektive Umstände können dafür verantwortlich sein, dass der Arbeitnehmer die berufliche Tätigkeit nicht mehr ausüben kann oder darf, etwa, weil er eine berufliche Qualifikation nicht mehr besitzt oder eine erforderliche Erlaubnis nicht mehr erhält. Mangelnde Eignung kann sich auch aus dem fortgeschrittenen Alter des Arbeitnehmers oder den Folgen schwererer Erkrankungen ergeben. Eine lang andauernde krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit in der unmittelbaren Vergangenheit stellt ein Indiz dafür dar, dass Arbeitsunfähigkeit auch in der Zukunft andauern wird. Eine völlige Ungewissheit über die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit stellt, wenn vom Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung in den darauf folgenden 24 Monaten mit einer Genesung nicht gerechnet werden kann, wie eine krankheitsbedingte dauernde Leistungsunfähigkeit eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen dar. Gleichwohl muss der Arbeitgeber die Nutzlosigkeit des betrieblichen Eingliederungsmanagements – bEM – (nach Arbeitsunfähigkeit von mehr als 6 Wochen innerhalb eines Jahres) darlegen, wenn er dies entgegen § 167 Abs. 2 SGB IX nicht durchgeführt hat, um der Auflage zu entsprechen, dass die Kündigung nicht unverhältnismäßig ist und keine milderen Mittel zur Überwindung der krankheitsbedingten Störung des Arbeitsverhältnisses verfügbar waren (BAG, Urteil v. 13.5.2015, 2 AZR 565/14; Urteil v. 21.11.2018, 7 AZR 394/17 bei Fluguntauglichkeit eines Piloten). Wird die Kündigung auf krankheitsbedingte Fehlzeiten gestützt, muss der Arbeitgeber auch darlegen, dass künftige Fehlzeiten ebenso wenig durch gesetzlich vorgesehene Hilfen oder Leistungen der Rehabilitationsträger in relevantem Umfang hätten vermieden werden können (BAG, Urteil v. 20.11.2014, 2 AZR 755/13). Der Arbeitgeber hat grundsätzlich ein neuerliches bEM durchzuführen, wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres nach Abschluss eines bEM erneut länger als 6 Wochen durchgängig oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt war (BAG, Urteil v. 18.11.2021, 2 AZR 138/21). Der Arbeitgeber, der für die Verhältnismäßigkeit der Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Darlegungs- und Beweislast trägt, kann sich zwar im Kündigungsschutzprozess grundsätzlich zunächst auf die Behauptung beschränken, für den Arbeitnehmer bestehe keine andere – seinem Gesundheitszustand entsprechende – Beschäftigungsmöglichkeit. War der Arbeitgeber jedoch gemäß § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zur Durchführung eines bEM verpflichtet und ist er dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, ist er darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass auch ein bEM nicht dazu hätte beitragen können, neuerlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Die Durchführung eines bEM ist zwar nicht selbst ein milderes Mittel gegenüber der Kündigung. § 167 Abs. 2 SGB IX konkretisiert aber den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mithilfe eines bEM können mildere Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erkannt und entwickelt werden.

§ 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX begründet keinen Individualanspruch der betroffenen Arbeitnehmer auf Einleitung und Durchführung eines bEM (BAG, Urteil v. 7.9.20...

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