Rz. 243

Das arbeitsvertragswidrige Verhalten des Arbeitnehmers als Anlass für eine arbeitgeberseitige Kündigung, durch die Beschäftigungslosigkeit und somit Arbeitslosigkeit herbeigeführt wird, stellt die zweite Variante des Sperrzeittatbestandes Arbeitsaufgabe dar. Weitere Voraussetzung für den Tatbestand ist, dass durch das arbeitsvertragswidrige Verhalten die Arbeitslosigkeit kausal und zumindest grobfahrlässig ohne wichtigen Grund herbeigeführt worden ist. Für die Beurteilung des arbeitsvertragswidrigen Verhaltens muss auf das Arbeitsrecht zurückgegriffen werden, auch wenn eine eigene sozialrechtliche Beurteilung und Bewertung angezeigt ist. Die arbeitsrechtliche Literatur ist vielfältig; die Darstellung in diesem Kommentar greift u. a. auf das Arbeitsrechtshandbuch von Schaub zurück. Ein arbeitsvertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers und eine dadurch herbeigeführte Beschäftigungslosigkeit ist sperrzeitrechtlich nicht von Relevanz, wenn dem Arbeitnehmer für sein Verhalten ein wichtiger Grund zur Seite steht.

 

Rz. 244

Der Begriff des arbeitsvertragswidrigen Verhaltens ist dem Arbeitsrecht entnommen. Zwar ist jeder potenzielle Sperrzeitsachverhalt einer eigenständigen sozialrechtlichen Bewertung zu unterziehen. Dabei verbietet sich jedoch eine Verletzung des Arbeitsrechts. Das bedeutet insbesondere die Verpflichtung der Agenturen für Arbeit zur Feststellung arbeitsvertraglicher Verletzungen und die Eignung solcher Verhalten als Anlass zur Lösung des Beschäftigungsverhältnisses unter arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten. Eine ausgeprägte sozialrechtliche Bewertung ist hinsichtlich der grobfahrlässigen Herbeiführung der Arbeitslosigkeit und der Beurteilung des Vorliegens eines wichtigen Grundes vorzunehmen. Das Sperrzeitenrecht kennt auch die besondere Härte, bei deren Vorliegen allerdings lediglich die Dauer der Sperrzeit begrenzt wird, eine besondere Härte bleibt also ohne Einfluss darauf, ob überhaupt eine Sperrzeit eingetreten ist oder nicht. Selbst eine arbeitsrechtlich berechtigte fristlose Kündigung bedingt noch keine schuldhafte Herbeiführung von Arbeitslosigkeit, wenn der Arbeitnehmer z. B. nicht mit einer Kündigung aus seiner subjektiven Betrachtung heraus rechnen musste oder Beschäftigungsmöglichkeiten dauerhaft entfallen sind.

 

Rz. 244a

Bei der Überwachung des elektronischen Schriftverkehrs am Arbeitsplatz gibt es keinen europäischen Konsens. Daher muss den Konventionsstaaten ein weiter Ermessensspielraum bei der Entscheidung darüber eingeräumt werden, ob es notwendig ist, Rechtsvorschriften über die Voraussetzungen zu schaffen, unter denen ein Arbeitgeber die Kommunikation nicht beruflicher Art seiner Arbeitnehmer am Arbeitsplatz regeln darf. Bei der Überwachung sind Verhältnismäßigkeit und Verfahrensgarantien gegen Willkür wesentlich (EGMR, Urteil v. 5.9.2017, 61496/08, vgl. aber zwischenzeitlich EMRK, Urteil v. 17.10.2019, 1874/13, 8567/13 bei berechtigtem Verdacht auf schwerwiegende Straftaten und festgestellter umfangreicher Verluste). Danach bleibt es jedenfalls dabei, dass nicht allgemein gilt, dass der geringste Verdacht von Unterschlagungen oder anderen Straftaten des Personals den Arbeitgeber zur geheimen Überwachung berechtigt. Die Zulässigkeit von Beweisen im Gerichtsverfahren garantiert Art. 6 EMRK nicht, sondern nur das Recht auf ein faires Verfahren, die Zulässigkeit von Beweisen muss staatliches Recht regeln. Nach der Rechtsprechung des BAG wird die Speicherung von Bildsequenzen aus einer rechtmäßigen offenen Videoüberwachung, die vorsätzliche Handlungen eines Arbeitnehmers zulasten des Eigentums des Arbeitgebers zeigen, nicht durch bloßen Zeitablauf unverhältnismäßig, solange die Ahndung der Pflichtverletzung durch den Arbeitgeber arbeitsrechtlich möglich ist (BAG, Urteil v. 23.8.2018, 2 AZR 133/18). Handelt es sich um eine rechtmäßige offene Videoüberwachung, ist die Verarbeitung und Nutzung der einschlägigen Bildsequenzen zulässig gewesen und hätte dementsprechend nicht das durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Arbeitnehmerin verletzt. Der Arbeitgeber musste das Bildmaterial nicht sofort auswerten. Er durfte hiermit solange warten, bis er dafür einen berechtigten Anlass sah. Ist die Videoüberwachung rechtmäßig erfolgt, stehen auch die Vorschriften der seit dem 25.5.2018 geltenden Datenschutz-Grundverordnung einer gerichtlichen Verwertung der erhobenen personenbezogenen Daten der Arbeitnehmerin nicht entgegen. Eine offene Videoüberwachung darf nicht einen Anpassungs- und Leistungsdruck erzeugen, der in seiner Intensität einer verdeckten Überwachung gleichkommt, wenn kein durch konkrete Tatsachen begründeter Verdacht auf schwerwiegende Pflichtverletzungen besteht (BAG, Urteil v. 28.3.2019, 8 AZR 421/17).

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