Krankheitsbedingte Fehlzeiten und die dadurch entstehenden Kosten stellen nur eine Seite des Geschehens dar. Aber auch Beschäftigte, die trotz Krankheit oder Unwohlsein zur Arbeit erscheinen, verursachen Schäden und Kosten! Gerade Menschen mit Depressionen oder Angststörungen gehen häufig trotz ihrer Beschwerden weiter arbeiten und suchen erst spät professionelle Hilfe. Durch dieses "Präsentismus" genannte Phänomen kommt es in den Betrieben zu deutlichen Produktivitätseinbußen, da die Betroffenen weniger leistungsfähig und oft fehleranfälliger sind. Daher ist ein Sinken der Fehlzeiten möglicherweise nicht immer nur eine gute Botschaft, wenn dies bedeutet, dass Mitarbeiter krank zur Arbeit gehen.

Über 70 % der Befragten einer repräsentativen Studie zum Thema Präsentismus gaben an, im Vorjahr zur Arbeit gegangen zu sein, obwohl sie sich krank fühlten. Ein Drittel erschien sogar am Arbeitsplatz gegen den Rat des Arztes.[1]

Verschiedene Studien (z. B. die TK-Studie "Präsentismus in einer zunehmend mobilen Arbeitswelt", 2022) zeigen, dass 30–90 % der Beschäftigten auch krank zur Arbeit gehen. Gut ein Viertel der Befragten geht sogar häufig oder sehr häufig krank zur Arbeit und arbeitet zudem den vollen Arbeitstag.

Wissenschaftliche Untersuchungen legen nahe, dass die Kosten durch Präsentismus sogar höher liegen als die für den Absentismus (Fernbleiben von der Arbeit, obwohl keine Erkrankung vorliegt). Die Kosten für Arbeitgeber bestehen z. B. aus verlorenen Arbeitsstunden. So können bei Depressionen höhere Produktivitätsverluste durch Präsentismus (ca. 15 %) als durch Fehlzeiten (ca. 10 %) entstehen.[2]

Eine Studie der Unternehmensberatung Booz & Company für die Felix-Burda-Stiftung geht noch weit über diese Kostenschätzungen hinaus: Die nur durch Fehlzeiten entstandenen Kosten (Absentismus) von 1.199 EUR pro Mitarbeiter und Jahr erfassen nur rund ein Drittel der Kosten, die tatsächlich in deutschen Unternehmen durch Krankheit anfallen. Der größere Teil entsteht jedoch dadurch, dass Arbeitnehmer trotz Krankheit am Arbeitsplatz erscheinen. Durch ihre eingeschränkte Einsatzfähigkeit vermindert sich ihre Arbeitsqualität, erhöht sich ihre Fehleranfälligkeit und die Anzahl der Unfälle. Durch eine Verzögerung der Genesung kann es auch zu chronischer Erkrankung und Burnout kommen.

Die Kosten für diesen sog. Präsentismus werden auf jährlich 2.399 EUR pro Mitarbeiter geschätzt. Für den Arbeitgeber steigen damit die krankheitsbedingten Kosten auf 3.598 EUR jährlich pro Arbeitnehmer. Nach dieser Studie verliert die deutsche Volkswirtschaft rund 10 % des Bruttoinlandsproduktes durch Arbeitnehmer, die krank zur Arbeit gehen.[3]

Abb. 11: Kosten von Präsentismus und Absentismus[4]

Der Forschungsbericht der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin kommt zu dem Ergebnis, dass durch Fehlzeiten wegen psychischer Erkrankungen 9,47 Arbeitsstunden in der Woche verloren gehen, durch Präsentismus bei psychischer Erkrankung 3,72 Arbeitsstunden pro Woche. Es wird berichtet, dass psychisch kranke Mitarbeiter nur 67 % ihrer Arbeitszeit effektiv arbeiten. Pro Mitarbeiter verlieren Unternehmen so 27 Tage im Jahr an Arbeitsleistung. Es geht doppelt so viel Arbeitsproduktivität durch Präsentismus verloren wie durch Absentismus.[5]

Diese Produktionsausfälle und Kosten werden oft nicht gesehen und berücksichtigt, weil die betroffenen Arbeitnehmer ja am Arbeitsplatz erscheinen. Wie produktiv sie dann tatsächlich im gesundheitlich angeschlagenen Zustand sein können, wird häufig nicht gesehen.

Ursachen für die Bereitschaft, auch krank zur Arbeit zu gehen, werden besonders in der zu hohen Arbeitsmenge und -verdichtung gesehen. Auch Menschen, die besonders viel Sinn in ihrer Arbeit sehen und sich besonders solidarisch mit ihren Kollegen fühlen, gehen eher angeschlagen in die Firma. Hier spielt also die intrinsische Motivation eine große Rolle. Daneben kann die Angst um den Arbeitsplatz zu erhöhtem Präsentismus führen.

Gerade Beschäftigte, die viel im Homeoffice arbeiten, neigen besonders stark zu Präsentismus. So arbeitet fast die Hälfte der Beschäftigten im Homeoffice trotz ärztlicher Krankschreibung. Der Hauptgrund hierfür scheint ein schlechtes Gewissen zu sein, wenn man nicht arbeitet, obwohl der Rechner in der Nähe ist. Es wird hier auch von Selbstgefährdung gesprochen.

In der TK-Studie zu Präsentismus wurden diese 10 Gründe für das Arbeiten trotz Krankheit am häufigsten genannt:

  1. Es gab keine Vertretung für mich.
  2. Ich konnte arbeiten, weil meine Krankheit nicht ansteckend war.
  3. Ich wollte meinen Kollegen/Kolleginnen nicht zur Last fallen.
  4. Es gab dringende Arbeiten und Termine.
  5. Weil ich gerne zur Arbeit gehe.
  6. Ich hatte das Gefühl, gesund genug zum Arbeiten zu sein.
  7. Die Arbeit hätte sich aufgehäuft.
  8. Ich möchte selbst entscheiden, wann ich arbeite und wann nicht.
  9. Ich möchte Vereinbarungen (wie Termine und Meetings) einhalten.
  10. Ich möchte ein schlechtes Gewissen und Schuldgefühle vermeiden.

Arbeitgeber sollten also insbesondere auf die Beschäftigten im Ho...

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