Leitsatz (amtlich)

1. Ein im Rechtsstreit zwischen dem Geschädigten und dem Sozialleistungsträger vor dem Sozialgericht geschlossener Prozessvergleich ist keine "Entscheidung" i.S.d. § 118 SGB X, wenn der Sozialleistungsträger in dem dortigen Rechtsstreit bis zuletzt die Erwerbsunfähigkeit des Geschädigten bestritten und sich erst unter dem Eindruck der abweichenden Auffassung des Sozialgerichts und auf dessen Vergleichsvorschlag hin zur Gewährung von Erwerbsunfähigkeitsrentenleistungen verpflichtet hat.

a) Nach dem Gesetzeswortlaut ("... ist es an eine unanfechtbare Entscheidung gebunden,...") unterfällt der zwischen dem Geschädigten und dem Sozialleistungsträger abgeschlossene Prozessvergleich nicht § 118 SGB X. Das Sozialgericht hat bei Abschluss eines Prozessvergleichs in der Sache keine "Entscheidung" getroffen. Der Prozessvergleich ist zudem nicht im Sinne des Gesetzeswortlauts "anfechtbar".

b) § 118 SGB X setzt mit Blick auf die Frage der Bindungswirkung der "Entscheidung" voraus, dass eine der materiellen Rechtskraft fähige "Entscheidung" vorliegt, die ein Prozessvergleich nicht ist.

c) Der Prozessvergleich lässt sich auch nicht einer "Entscheidung" mit der Begründung gleichstellen, der Vergleich habe eine Doppelnatur und sei materiell-rechtlich ein öffentlich-rechtlicher Vertrag, den der Sozialleistungsträger im Verwaltungsverfahren hätte abschließen können.

2. Mangels Bindungswirkung für das ordentliche Gericht hat der Sozialleistungsträger, wenn er - materiell auf § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X gestützt - vom Schädiger Ersatz für erbrachte Rentenleistungen begehrt, darzulegen und zu beweisen, dass dem Geschädigten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu leisten war.

 

Verfahrensgang

LG Dessau-Roßlau (Urteil vom 31.07.2007; Aktenzeichen 2 O 973/04)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Dessau-Roßlau vom 31.7.2007 - 2 O 973/04 - werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin zu 78 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 22 % zu tragen. Es wird klargestellt, dass sich der Kostenausspruch des angefochtenen Urteils auch auf die Kosten des Berufungsverfahrens zu dem Az. 9 U 141/05 bezieht.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des für diese auf Grund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht zuvor die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des von diesen auf Grund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht zuvor die Beklagten Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

und beschlossen:

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 41.950,13 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin macht gegen die Beklagten aus übergegangenem Recht Schadensersatz- und Beitragsregressansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend. Gestützt auf die Zessionstatbestände der §§ 116, 119 SGB X verlangt sie Schadensersatz und Beitragsregress i.H.v. insgesamt 41.950,13 EUR, die sich zusammensetzen aus geltend gemachtem Schadensersatz i.H.v. 32.460,09 EUR und begehrtem Beitragsregress i.H.v. 9.490,04 EUR.

Am 22.8.1996 gegen 5.45 Uhr ereignete sich ein Verkehrsunfall, an dem die bei der Klägerin rentenversicherte Frau E. R. als Fahrradfahrerin und der Beklagte zu 1) als Führer seines Pkw, der bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist, beteiligt waren. Die geschädigte Frau R. (im Folgenden kurz "Geschädigte") erlitt erhebliche Verletzungen, u.a. ein Schädel-Hirn-Trauma zweiten bis dritten Grades mit mutiplen Weichteilverletzungen im Gesicht, eine vordere Beckenringfaktur sowie eine offene Oberschenkelrückfraktur links. Die alleinige Haftung der Beklagten ist zwischen den Parteien unstreitig.

Im Unfallzeitpunkt war die Geschädigte als Reinigungskraft tätig. Nach mehreren stationären Klinikaufenthalten und entsprechenden Heilmaßnahmen nahm sie ihre Tätigkeit als Reinigungskraft im März 1998 wieder auf, bis das Arbeitsverhältnis durch ihre Arbeitgeberin mit Kündigungserklärung vom 23.6.1999 zum 30.11.1999 gekündigt wurde (Bl. 15, 15 R der beigezogenen Akte des Sozialgerichts Dessau).

Nachdem die Klägerin am 11.8.1999 den Antrag der Geschädigten auf Leistung einer Erwerbsunfähigkeitsrente zunächst abgelehnt und den hiergegen gerichteten Widerspruch der Geschädigten zurückgewiesen hatte, schloss sie in einem Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Dessau (Az. S 4 RJ 418/99) am 9.4.2001 mit der Geschädigten einen Vergleich, in dem sie sich verpflichtete, der Geschädigten ab dem 15.3.1999 "Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer [zu] gewähren." (Bl. 108 bis 110 der beigezogenen Verfahrensakte des Sozialgerichts Dessau). Zu dem Vergleichsabschluss kam es unter dem Eindruck eines vom Sozialgericht eingeholten Gutachtens der Sachverständigen Dipl.-Med. B. vom 19.5.2000 (Bl. 70 bis 72 der beigezogenen V...

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