Entscheidungsstichwort (Thema)

Erwerbsschaden eines durch Unfall arbeitsunfähig gewordenen Sozialleistungsempfängers; Anspruchsübergang auf den Sozialleistungsträger; Prozessführungsbefugnis des Geschädigten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Hat ein Geschädigter vor einem Unfallereignis kein Erwerbseinkommen erzielt, entsteht ein Erwerbsschaden nur, wenn er entweder eine Sozialleistung mit Lohnersatzcharakter bezog (z.B. ALG I oder Arbeitslosenhilfe nach altem Recht) oder - falls er Sozialhilfe oder ALG II nach neuem Recht bezog - wenn er ohne den Unfall während der Zeit seiner unfallbedingten Arbeitslosigkeit in eine Erwerbsposition mit Verdienst eingetreten wäre.

2. Wenn Ersatz für ein ohne das Unfallereignis an die Stelle der Sozialleistung getretenes Erwerbseinkommen zu leisten ist, liegt eine sachliche Kongruenz vor.

3. Die Prozessführungsbefugnis des Geschädigten umfasst nicht die schon vor Rechtshängigkeit auf den Sozialleistungsträger übergegangenen Erwerbsschadensrückstände.

 

Normenkette

BGB § 842; SGB X § 116 Abs. 1, 10, § 119; SGB XII § 93 Abs. 1, 4

 

Verfahrensgang

LG Stade (Urteil vom 17.11.2010; Aktenzeichen 2 O 108/10)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das am 17.11.2010 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des LG Stade teilweise abgeändert.

1. Die Beklagte wird verurteilt, folgende Zahlungen zu leisten:

a) An den Kläger

aa) als Ersatz für rückständigen Verdienstausfall einen Betrag

i.H.v. 4.063,11 EUR

nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem

Basiszinssatz

auf 3.967 EUR seit dem 14.5.2010,

auf 39,27 EUR seit dem 1.7.2010,

auf 39,27 EUR seit dem 1.10.2010,

auf 14,21 EUR seit dem 1.1.2011,

auf 1,68 EUR seit dem 1.4.2011 sowie

auf weitere 1,68 EUR seit dem 1.7.2011;

bb) für den Zeitraum vom 1.7.2012 bis 28.2.2023 eine vierteljährlich vorauszahlbare, jeweils am Ersten eines Quartals fällig werdende und ab dem jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsende Erwerbsschadensrente i.H.v. 765 EUR monatlich;

b) an die H. Arbeitsgemeinschaft SGB II,..., zum Az ...,

einen Betrag von 6.015,28 EUR;

c) an das Bezirksamt B. der Stadt H.,..., Az ...,

einen Betrag von 13.000,52 EUR.

2. Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits werden wie folgt verteilt:

Von den Kosten des ersten Rechtszugs tragen der Kläger 68 % und die Beklagte 32 %.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger zu 84 % und der Beklagten zu 16 % auferlegt.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A) Der am ... 1957 geborene Kläger erlitt am 24.3.2003 einen Verkehrsunfall, für dessen Folgen die Beklagte als Versicherer des beteiligten Unfallgegners unstreitig dem Grunde nach zu 100 % einstandspflichtig ist. Aufgrund eines im Vorprozess 2 O 567/06 - LG Stade - erstrittenen Feststellungsurteils macht der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit behauptete unfallbedingte Verdienstausfallansprüche geltend.

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und der gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Zu ergänzenden ist Folgendes:

Der Kläger war Ende 1993 aus dem Kosovo nach Deutschland geflüchtet. In seinem Heimatland hatte er bis zu seinem 18. Lebensjahr die Schule besucht, wegen ethnischer Diskriminierungen aber keinen Beruf erlernen können und deshalb - vollschichtig - ungelernte Arbeitstätigkeiten ausgeübt. In Deutschland erhielt der Kläger zunächst nur befristete Aufenthaltserlaubnisse. Erst nach der Anerkennung als Asylberechtigter wurde ihm mit Wirkung ab Ende August 1999 eine Arbeitserlaubnis erteilt. Ab dem Folgejahr nahm er verschiedene Beschäftigungsverhältnisse auf. Aus den vom Kläger vorgelegten Arbeitsverträgen und Lohnabrechnungen (Anlage K 4, Bl. 11 bis 13 d.A. sowie Anlage BfK 4 und BfK 5 - Anlagenhefter) ergeben sich folgende Beschäftigungszeiträume und Verdienste:

- Von Mai 2000 bis April 2001: Arbeitsverhältnis bei dem Fugereibetrieb B. O. auf 630-DM-Basis, wobei sich die ausgezahlten Löhne auf maximal 600 DM, meist aber weniger beliefen;

  • vom 7.5.2001 bis November 2001: Arbeitsverhältnis bei dem Fugerei-betrieb C. zu einem Verdienst von 21,50 DM brutto pro Stunde, wobei sich der Beschäftigungsumfang allerdings ab August auf 28 Stunden im Monat reduzierte, woraus sich dann ein Nettoverdienst von etwas über 600 DM ergab;
  • von Dezember 2001 bis April 2002 wiederum Tätigkeit bei dem Fugerei-betrieb B. O. auf 630-DM-Basis mit Lohnzahlungen zwischen 200 DM und 520 DM.

Daran schloss sich vom 22.4. bis 11.10.2002 ein von der Bundesanstalt für Arbeit finanzierter Sprachlehrgang an, den der Kläger mit gutem bis sehr gutem Erfolg beendete (vgl. Anlage BfK 6 - Anlagenhef...

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