Rz. 23

Verlangt der Arbeitnehmer von dem Arbeitgeber Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall[1], gelten im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Prozesses die allgemeinen Grundsätze zur Darlegungs- und Beweislast im Zivilprozess.

Für den Arbeitnehmer bedeutet dies, dass er die anspruchsbegründenden Tatsachen nach §§ 3 Abs. 1, 3 und 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG darlegen und ggf. beweisen muss.[2] Der Arbeitnehmer muss danach grundsätzlich darlegen und beweisen, dass

  • der Arbeitgeber von seiner Arbeitsunfähigkeit im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung Kenntnis hatte und
  • die Arbeitsunfähigkeit den entscheidenden Anstoß für die Kündigung darstellte.[3]
 

Rz. 24

Im Einzelnen muss der Arbeitnehmer in Bezug auf die Kenntnis des Arbeitgebers von der Arbeitsunfähigkeit darlegen und unter Beweis stellen, wann, auf welche Weise, er wen – den Arbeitgeber selbst oder eine andere, ggf. kündigungsberechtigte Person – von der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit unterrichtet hat. Ist dem Arbeitgeber aufgrund der von ihm eingerichteten Arbeitsorganisation das Wissen auch solcher Personen zuzurechnen, die nicht zur Kündigung berechtigt sind[4], also von sog. "empfangsberechtigten Personen", kann er allerdings vortragen, dass diese ihn nicht unterrichtet haben und deshalb die Arbeitsunfähigkeit nicht der Anlass der Kündigung, die er selbst ausgesprochen hat, gewesen sein kann. Da der Arbeitgeber jedoch für seine Arbeitsorganisation verantwortlich ist und grundsätzlich davon auszugehen ist, dass er sie so eingerichtet hat, dass Informationen an ihn weitergegeben werden, trägt er die Beweislast für die fehlende Information.

 

Rz. 25

Der Beweis der Beweggründe des Arbeitgebers für den Ausspruch der Kündigung ist schwer möglich, da es sich um subjektive Tatsachen handelt, die sich der Wahrnehmung des Arbeitnehmers gänzlich entziehen. Es muss daher genügen, dass der Arbeitnehmer sog. "Hilfstatsachen" vorträgt, die begründen sollen, dass die Kündigung aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit ausgesprochen worden ist. Solche Hilfstatsachen oder auch Indizien liegen z. B. bei einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, der erstmaligen Krankmeldung oder der Anzeige über die Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit und der daraufhin ausgesprochenen Kündigung vor.

Zu weitgehend ist es allerdings, in diesem Zusammenhang von einem Beweis des ersten Anscheins für eine Anlasskündigung zu sprechen, wenn der Arbeitgeber im zeitlichen Zusammenhang mit der Krankmeldung oder der Anzeige der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit kündigt.[5] Der Beweis des ersten Anscheins greift nur bei typischen Geschehensabläufen ein. Es muss sich um einen regelmäßig wiederkehrenden Vorgang handeln, für den eine Verkettung von Ursache und Wirkung typisch ist, also nach allgemeinen Erkenntnissen durchweg so beobachtet werden kann.[6] Der Sachverhalt von Arbeitsunfähigkeit und Kündigung ist jedoch kein typischer Geschehensablauf. Es ist eben nicht nach der Lebenserfahrung darauf zu schließen, dass eine Arbeitsunfähigkeit im Sinne einer Ursache auf den Eintritt einer Kündigung im Sinne eines Erfolgs hinweist.[7] Es dürften vielmehr die Fälle überwiegen, dass nach Eintritt einer Arbeitsunfähigkeit keine Kündigung ausgesprochen wird.

 

Rz. 26

Der Arbeitgeber kann die Indizien zunächst bestreiten. Kann der Arbeitnehmer sie nicht beweisen, scheidet ein Anspruch nach § 8 Abs. 1 EFZG schon deshalb aus. Gelingt ihm dagegen der Beweis, kann der Arbeitgeber seinerseits Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass andere Gründe seinen Kündigungsentschluss bestimmt haben.[8] Der Arbeitgeber muss nicht den vollen Beweis erbringen, dass die Kündigung durch andere Gründe bestimmt war. Ausreichend, aber auch erforderlich ist es, wenn er Tatsachen darlegt und beweist, aufgrund derer es ernsthaft denkbar ist, dass andere Gründe für die Kündigung ausschlaggebend waren. Denn auch dann hat der Arbeitnehmer nicht den Beweis erbracht, dass die Kündigung anlässlich seiner Erkrankung ausgesprochen worden ist.[9]

[2] ErfK/Reinhard, 2021, § 8 EFZG, Rz. 10; Schmitt/Küfner-Schmitt, EFZG, 2018, § 8, Rz. 45.
[3] S. LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 6.2.2014, 5 Sa 324/13, NZR-RR 2014, 291.
[4] S. Rz. 19.
[5] So aber BAG, Urteil v. 20.8.1980, 5 AZR 218/78; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 6.2.2014, 5 Sa 324/13, NZR-RR 2014, 291; LAG Nürnberg, Urteil v. 4.7.2019, 5 Sa 115/19, NZA-RR 2020, 16; Knorr/Krasney, Entgeltfortzahlung-Krankengeld-Mutterschaftsgeld, Stand August 2019, § 8 EFZG, Rz. 34; Ermann/Riesenhuber, BGB, 2020, § 616, Rz. 167; Tschöpe/Grimm, Arbeitsrecht Handbuch, 2021, Entgeltfortzahlung, Rz. 189; Schmitt/Küfner-Schmitt, EFZG, 2018, § 8, Rz. 46.
[7] MünchKommBGB/Müller-Glöge, 2020, § 8 EFZG, Rz. 18; ErfK/Reinhard, 2021, § 8 EFZG, Rz. 10; Henssler/Willemsen/Kalb/Vogelsang, Arbeitsrecht Kommentar, 2020, § 8 EFZG, Rz. 23.

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