Rz. 45

Der Arbeitgeber kann – insbesondere wenn er gesicherte Kenntnisse über das Nichtbestehen einer Arbeitsunfähigkeit trotz Vorliegens einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat – die Entgeltfortzahlung verweigern. Hat der Arbeitgeber bereits Entgeltfortzahlung geleistet, ist der Arbeitnehmer zur Rückzahlung verpflichtet, § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB.[1] Hat er keine gesicherten Kenntnisse, wird er von der Krankenkasse verlangen, vom Medizinischen Dienst eine gutachtliche Stellungnahme zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers einzuholen (§ 275 Abs. 1a Satz 3 SGB V).[2] Ein unmittelbarer Anspruch gegenüber dem Medizinischen Dienst besteht dagegen nicht. Der Anspruch auf Begutachtung gilt zudem nur hinsichtlich Arbeitnehmern, die in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, da der Medizinische Dienst nur diese Arbeitnehmer überprüft.[3]

 

Rz. 46

Dem Arbeitgeber steht zudem nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG ein befristetes Leistungsverweigerungsrecht zu[4]: Sobald der Arbeitnehmer das Attest nachreicht, ist der Arbeitgeber zur (auch rückwirkenden) Entgeltfortzahlung verpflichtet.

 

Rz. 47

Zudem kommt eine ordentliche Kündigung in Betracht – auch im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes.[5] Diese wird dann gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer zum wiederholten Mal seine Nachweispflicht verletzt und er bereits abgemahnt ist.[6] Arbeitnehmer unterliegen dabei – oftmals gemeinsam mit den sie behandelnden Ärzten[7] – dem Irrtum, nach Ablauf der 6-wöchigen Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers nicht mehr zur Vorlage einer Bescheinigung beim Arbeitgeber verpflichtet zu sein. Da der Arbeitnehmer nunmehr Krankengeld bezieht, wird er nur noch der Krankenkasse eine entsprechende Bescheinigung – den "Auszahlschein" – vorlegen. Diesem Irrtum wird jedenfalls eine Abmahnung des Arbeitgebers abhelfen. Hat der Arbeitnehmer den Arbeitgeber auf andere Weise informiert (z. B. aufgrund regelmäßigen telefonischen Kontakts) und ist dem Arbeitgeber der Irrtum des Arbeitnehmers erkennbar, wird auch eine Abmahnung nicht verhältnismäßig sein: Der Arbeitgeber wird den Arbeitnehmer zunächst darauf hinweisen müssen, dass er die Bescheinigung weiterhin vorlegen muss. Wenn der Arbeitnehmer diesem Hinweis wiederum nicht nachkommt und sodann erfolglos abgemahnt ist, wird er jedoch auch im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes mit einer ordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung (§ 1 Abs. 2 KSchG) rechnen müssen. In schwerwiegenden Fällen kommt auch der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung in Betracht, § 626 BGB.[8] Dies dürfte allerdings die Ausnahme sein.

 

Rz. 48

Hat sich der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschlichen, ist dagegen eine außerordentliche, jedenfalls aber ordentliche Kündigung gerechtfertigt. Das bewusste Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit wegen Erkrankung ist eine schwere Pflichtverletzung und an sich geeignet, als wichtiger Grund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB herangezogen zu werden. Eine vorherige Abmahnung ist in der Regel entbehrlich.[9]

Hier ist es auch denkbar, dass der Arbeitgeber Schadensersatzansprüche geltend machen kann (§ 280 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB).[10] Der Arbeitnehmer hat dem Arbeitgeber z. B. die durch das Tätigwerden eines Detektivs entstandenen notwendigen Kosten zu ersetzen, wenn der Arbeitgeber anlässlich eines konkreten Tatverdachts gegen den Arbeitnehmer einem Detektiv die Überwachung des Arbeitnehmers überträgt und der Arbeitnehmer einer vorsätzlichen vertragswidrigen Handlung – z. B. der vollschichtigen Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber während der Zeit der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit – überführt wird.[11] Allerdings begründet eine vorsätzliche Vertragsverletzung des Arbeitnehmers nur dann seine Verpflichtung, die von einem Detektivbüro in Rechnung gestellte Forderung auszugleichen, wenn die abgerechneten Beträge zu den Aufwendungen gehören, die eine vernünftige, wirtschaftlich denkende Person nach den Umständen des Falls zur Beseitigung der Störung bzw. zur Schadensverhütung nicht nur als zweckmäßig, sondern auch als erforderlich ergriffen hätte. "Überzogene" Anstrengungen des Arbeitgebers und daraus resultierende Aufwendungen muss der Arbeitnehmer deshalb nicht ersetzen.

[1] Zur Beweislast vgl. Feichtinger/Malkmus/Feichtinger, EFZG, 2. Aufl. 2010, § 5 EFZG, Rz. 180: Die bloße Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung soll hier nicht ausreichen, da der Arbeitgeber bei eigenen Forderungen die volle Beweislast für das Bestehen der Forderung habe.
[2] Vgl. unten Rz. 51 ff.
[3] Knorr/Krasney in Knorr/Krasney, Entgeltfortzahlung, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, 7. Aufl., Stand August 2019, § 5 EFZG, Rz. 79.
[4] Vgl. Springer, § 7, Rz. 16 f.
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