Rz. 21

In vielen Unternehmen kommen sog. Freischichtenmodelle zur Anwendung[1]: Diese sehen vor, dass die Arbeitnehmer über eine tariflich vorgegebene Wochenarbeitszeit hinaus täglich mehr arbeiten. Die über die tarifliche Arbeitszeit hinaus erarbeiteten Stunden werden als Freischichten oder als sog. Arbeitszeitverkürzungstage (AZV-Tage) in Freizeit ausgeglichen.

Erkrankt hier der Arbeitnehmer, so kommt es hinsichtlich der Entgeltfortzahlung grundsätzlich darauf an, ob für den entsprechenden Tag der Arbeitsunfähigkeit ein Arbeitstag oder eine Freischicht/ein AZV-Tag vorgesehen war.

Es können 2 Fallgestaltungen unterschieden werden[2]: In einem Fall sind unbezahlte Freischichten (bzw. AZV-Tage) vereinbart. Im anderen Fall haben die Tarifvertragsparteien von ihrem Recht nach § 4 Abs. 4 EFZG Gebrauch gemacht[3] und eine andere Bemessungsgrundlage des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts dergestalt vereinbart, dass bezahlte Freischichten vorgesehen werden.

Im Einzelnen:

 

Rz. 22

In der 1. Fallgestaltung werden unbezahlte Freischichten (bzw. AZV-Tage) vereinbart.

 
Praxis-Beispiel

Nach BAG, Urteil v. 14.6.1989, 5 AZR 505/88:[4]

Die regelmäßige Wochenarbeitszeit der Arbeitnehmer beträgt aufgrund tarifvertraglicher oder individualvertraglicher Vereinbarung 37 Stunden (5 × 7,4 Stunden). Die betriebliche Arbeitszeit beträgt hingegen 40 Stunden (5 × 8 Stunden), um die betrieblichen Anlagen besser auszulasten und um eine einfachere Stundenberechnung zu gewährleisten. Diese täglichen 8 Stunden werden auch bezahlt. Weil die Arbeitnehmer demnach pro Tag 0,6 Stunden mehr arbeiten, ist in einer Betriebsvereinbarung vereinbart, dass an bestimmten Tagen unbezahlte Freischichten gewährt werden. Arbeitnehmer A erkrankt und ist arbeitsunfähig.

War A in diesem Beispielsfall an einem Tag arbeitsunfähig erkrankt, an dem er hätte arbeiten müssen, so hat er einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung, der auf der Basis von 8 Stunden – und nicht von 7,4 Stunden – zu berechnen ist. War jedoch eine Freischicht (oder ein AZV-Tag) für den betreffenden Tag der Arbeitsunfähigkeit vorgesehen, so besteht kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung.[5]

Unterstützt wird dieses Ergebnis durch § 3 Abs. 1 EFZG, wo festgelegt ist, dass Entgeltfortzahlung lediglich dann zu leisten ist, wenn die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit die alleinige Ursache für den Arbeitsausfall war. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn der Arbeitnehmer an besagtem Tag von vornherein, d. h. hier wegen der Freischicht, nicht gearbeitet hätte.[6]

Auch hat der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Nachgewährung des Freischichttags.[7]

 

Rz. 23

In der 2. Fallgestaltung kann durch abweichende (tarif-) vertragliche Regelung vorgesehen werden, dass bezahlte Freischichten (oder AZV-Tage) gewährt werden.[8]

 
Praxis-Beispiel

Nach BAG, Urteil v. 28.1.2004, 5 AZR 58/03[9] und BAG, Urteil v. 5.11.2003, 5 AZR 108/03[10]:

Der einschlägige Tarifvertrag sieht vor, dass die Wochenarbeitszeit 37 Stunden (5 × 7,4 Stunden) beträgt. Die betriebliche Arbeitszeit beträgt demgegenüber 40 Stunden (5 × 8 Stunden). Der Ausgleich der Überschreitung der tariflichen Wochenarbeitszeit i. H. v. 3 Stunden pro Woche erfolgt durch Gutschrift auf einem Arbeitszeitkonto und durch die Gewährung von Freischichten an bestimmten, in einer Betriebsvereinbarung festgelegten Tagen. Der Arbeitgeber zahlt tarifvertragsgemäß ein verstetigtes Monatsentgelt auf der Basis der tariflichen Arbeitszeit (37 Stunden).

Arbeitnehmer A ist an einem dieser Freischichttage arbeitsunfähig erkrankt. Er wendet sich dagegen, dass der Arbeitgeber trotz der Arbeitsunfähigkeit die in der Betriebsvereinbarung festgelegten Stunden für die Freischicht vom Arbeitszeitkonto des A abgezogen hat.

Im Beispielsfall hätte A für den Fall, dass der Krankheitstag ein Arbeitstag gewesen wäre, Anspruch auf Entgeltfortzahlung auf der Basis des ihm gewährten verstetigten Monatsentgelts. Fällt der Tag der Arbeitsunfähigkeit jedoch – wie hier – auf einen Freischichttag, so erhält er zwar gleichwohl das verstetigte Monatsentgelt, das auf diesen Tag entfällt; die Stunden auf dem Arbeitszeitkonto werden jedoch außerdem abgezogen. Dies ergibt sich aus der Überlegung, dass ansonsten der erkrankte Arbeitnehmer besser gestellt würde als der gesunde, dem infolge der Freischicht ja auch die entsprechenden Stunden vom Arbeitszeitkonto abgezogen werden.[11]

[1] Vgl. zu verschiedenen Modellen insbesondere in der Metall- und Elektroindustrie und der hierzu ergangenen Rechtsprechung Leinemann, BB 1998, S. 1414; ausführlich auch Knorr/Krasney/v. Creytz, EFZ, Loseblatt, Stand: 7/2023, F, S. 410 f. Rz. 17.
[2] Vgl. zu Arbeitszeitkonten ausführlich auch MüKo/Müller-Glöge, 9. Aufl. 2023, § 4 EFZG, Rz. 3; Vogelsang, Entgeltfortzahlung, 2003, Rz. 448 f; Veit, NZA 1990, 249.
[3] Vgl. Rz. 132 ff.
[4] NZA 1990, 278, DB 1989, S. 2233; vgl. auch BAG, Urteil v. 2.12.1987, 5 AZR 557/86, NZA 1988, 663, DB 1988, S. 1401, AP Nr. 54 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG.
[5] BAG, Urteil v. 14.6.1989, 5 AZR 505/88, NZA 1990, 278, DB 19...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge