Rz. 95

Suchterkrankungen in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen (Alkohol-, Drogen- oder Medikamentensucht) sind in der Regel Folge einer psychischen Abhängigkeit. Ihre Einordnung als Krankheit im medizinischen und im Sinne des § 3 EFZG steht nicht infrage.[1] Auch die Beurteilung der Verschuldensfrage ist heute weitgehend geklärt. Während die Rechtsprechung früher einen Erfahrungssatz dahingehend angenommen hat, dass Sucht in der Regel selbst verschuldet ist[2], verneint das BAG ausdrücklich einen solchen Erfahrungssatz seit seiner Entscheidung vom 1.6.1983[3]. Suchterkrankungen können eine Vielzahl von Ursachen haben. Es obliegt dem Arbeitgeber, ein zumindest grob fahrlässiges Verhalten des Arbeitnehmers gegen sich selbst darzulegen und ggf. zu beweisen.[4] Der Arbeitnehmer hat jedoch an der Aufklärung der für die Verschuldensprüfung erforderlichen Tatsachen mitzuwirken.[5]

 

Rz. 96

Etwas anderes nahm das BAG bislang bei einem Rückfall des Arbeitnehmers nach einer Entziehungskur an: Bei einem solchen Rückfall nach längerer Abstinenz spreche ein Erfahrungssatz für ein Verschulden des Arbeitnehmers gegen sich selbst.[6] In der Literatur wurde dieser Erfahrungssatz in Anbetracht der Vielzahl von Rückfällen infrage gestellt, zumal auch die Rückfälligkeit dem Krankheitsbild einer Sucht entspreche.[7] Ein Rückfall nach umfangreicher Aufklärung des Arbeitnehmers über die Gefahren eines weiteren Alkoholkonsums könne lediglich als Indiz für ein Verschulden gewertet werden. Die Antwort auf die Frage eines Selbstverschuldens des Rückfalls und einer daraus folgenden Krankheit dürfte im medizinischen Bereich zu finden sein: Ist der Rückfall Folge der psychischen Suchterkrankung, ist er nicht grob fahrlässig selbst verschuldet. In diesem Sinne hat das BAG[8] entschieden, dass auch bei einem Rückfall nach durchgeführter Therapie im Grundsatz nicht von einem Verschulden i. S. d. Entgeltfortzahlungsrechts ausgegangen werden kann. Da ein Verschulden des Arbeitnehmers an einem Rückfall jedoch nicht generell ausgeschlossen werden könne, kann der Arbeitgeber das fehlende Verschulden bestreiten.[9] Das Arbeitsgericht hat dann ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen. Nur wenn dieses Gutachten ein Verschulden eindeutig nachweist, entfällt die Entgeltfortzahlung.

[1] Vgl. Rz. 39.
[2] BAG, Urteil v. 7.12.1972, 5 AZR 350/72, AP Nr. 26 zu § 1 LohnFG, DB 1973, 579.
[3] BAG, Urteil v. 1.6.1983, 5 AZR 536/80, AP Nr. 52 zu § 1 LohnFG, DB 1983, 2420.
[4] Wedde/Kunz, EFZG, 4. Aufl. 2015, § 3 EFZG, Rz. 102; Feichtinger/Malkmus, EFZR, 2. Aufl. 2010, § 3 EFZG, Rz. 147 f.
[5] BAG, Urteil v. 7.8.1991, 5 AZR 410/90, AP Nr. 94 zu § 1 LohnFG, DB 1991, 2488.
[7] ErfK/Reinhard, 24. Aufl. 2024, § 3 EFZG, Rz. 27; Treber, EFZG, 2. Aufl. 2007, § 3 EFZG, Rz. 79 f.; Vogelsang, Entgeltfortzahlung, 2003, Rz. 150.
[9] S. Rz. 95.

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