Die Frage des Verschuldens kann letztlich immer nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden. Gleichwohl sollen typische Fallgestaltungen aus der Rechtsprechung im Folgenden dargestellt werden:

2.3.4.5.1 AIDS-Erkrankung

 

Rz. 85

Zu einem Verschulden bei einer AIDS-Erkrankung fehlt es noch an einschlägiger Rechtsprechung. Von dem Grundsatz, dass ein Verschulden vom Arbeitgeber dargelegt werden muss, ist nicht abzuweichen. Insbesondere kann dem Ansatz nicht gefolgt werden, aufgrund der häufigen Verknüpfung von AIDS-Infizierung und (ungeschütztem) Geschlechtsverkehr könne ein Verschulden des Arbeitnehmers vermutet werden.[1] Zum einen kann die Infizierung auf einer Vielzahl von Umständen beruhen, die dem Arbeitnehmer nicht anzulasten sind (z. B. Infektion im Zusammenhang mit einer Bluttransfusion, Operation, Einnahme von Blutgerinnungspräparaten).[2] Zum anderen kann zwischen der Infektion und der zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung ein so langer Zeitraum liegen, dass die Aufklärung der Infektionsumstände kaum mehr möglich sein wird. Hier dem Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast zu übertragen, ist nicht gerechtfertigt.

[1] So aber Brecht, EFZ, 2. Aufl. 2000, § 3 EFZG, Rz. 35.
[2] Schmitt/Schmitt, EFZG, 9. Aufl. 2023, § 3 EFZG, Rz. 140; Wedde/Kunz, EFZG, 4. Aufl. 2015, § 3 EFZG, Rz. 97.

2.3.4.5.2 Arbeitsunfall

 

Rz. 86

Bei Arbeitsunfällen trifft den Arbeitnehmer ein Verschulden, wenn er in besonders grobem Maß gegen die geltenden Sicherheits- und Arbeitsschutzvorschriften verstoßen hat.[1] Hierbei kann es sich um konkrete Sicherheitsanweisungen des Arbeitgebers, Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften oder Regelungen des Arbeitsschutzgesetzes handeln.

Ein tatbestandsausschließendes Verschulden wurde in folgenden Fällen bejaht:

  • Verbotswidriger Umgang mit einer Kreissäge[2]
  • Nichttragen von Schutzkleidung entgegen ausdrücklicher vorheriger Belehrung (Schutzhelm[3]; Sicherheitsschuhe[4])

Ein Verschulden scheidet dann aus, wenn der Arbeitgeber die sicherheitswidrige Verhaltensweise geduldet hat oder erforderliche Sicherheitskleidung nicht kostenlos zur Verfügung stellt.[5] Gleiches gilt, wenn das Fehlverhalten des Arbeitnehmers nicht kausal für die Erkrankung war, d. h. auch unter Einhaltung der Unfallverhütungsvorschriften dieselbe Verletzung eingetreten wäre.[6]

[1] Feichtinger/Malkmus, EFZG, 2. Aufl. 2010, § 3 EFZG, Rz. 108; LAG Hamm, Urteil v. 7.3.2007, 18 Sa 1839/06, juris; Wedde/Kunz, EFZG, 4. Aufl. 2015, § 3 EFZG, Rz. 106; Schmitt/Schmitt, EFZG, 9. Aufl. 2023, § 3 EFZG, Rz. 136.
[2] BAG, Urteil v. 25.6.1964, 2 AZR 421/63, AP Nr. 38 zu § 1 ArbKrankhG.
[3] Hessisches LAG, Urteil v. 6.9.1965, 1 Sa 237/65, DB 1966, 584.
[5] Schmitt/Schmitt, EFZG, 9. Aufl. 2023, § 3 EFZG, Rz. 138.
[6] Wedde/Kunz, EFZG, 4. Aufl. 2015, § 3 EFZG, Rz. 106.

2.3.4.5.3 Kinderwunschbehandlung

 

Rz. 87

Die als Krankheit einzuordnende Unfruchtbarkeit kann dann zu Arbeitsunfähigkeit führen, wenn der Arbeitnehmer sich Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung unterzieht. Da er bewusst krankheitsbedingte Ausfallzeiten in Kauf nimmt, hat das BAG[1] ein die Entgeltfortzahlung ausschließendes Verschulden generell bejaht.[2] Begründet wird diese Rechtsprechung mit der Erwägung, dass dann, wenn erst durch die In-vitro-Fertilisation willentlich und vorhersehbar eine Arbeitsunfähigkeit bedingende Erkrankung herbeigeführt wird, von einem vorsätzlichen Verstoß gegen das Eigeninteresse eines verständigen Menschen, Gesundheit zu erhalten und zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankungen zu vermeiden, auszugehen sei. Ein Verschulden soll lediglich dann nicht vorliegen, so das BAG weiter, wenn im Rahmen einer In-vitro-Fertilisation, die nach allgemein anerkannten medizinischen Standards vom Arzt oder auf ärztliche Anordnung vorgenommen wird, eine zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankung auftritt, mit deren Eintritt nicht gerechnet werden musste.[3]

[2] So auch bereits Müller-Roden, NZA 1989, 130.
[3] Vgl. differenziert zu dem Urteil des BAG Schmitt/Schmitt, EFZG, 9. Aufl. 2023, § 3 EFZG, Rz. 176 ff.

2.3.4.5.4 Nebentätigkeit

 

Rz. 88

Der Arbeitnehmer hat auch dann einen Entgeltfortzahlungsanspruch, wenn er während einer – erlaubten oder unerlaubten – Nebentätigkeit erkrankt, z. B. aufgrund eines Arbeitsunfalls.[1] Es gelten insofern die allgemeinen Verschuldensgrundsätze. Der Verstoß gegen ein Nebentätigkeitsverbot schließt weder den Anspruch grundsätzlich aus, noch führt er zu einem anderen Verschuldensmaßstab.[2] Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer während oder infolge von Schwarzarbeit erkrankt. Dem Anspruch auf Entgeltfortzahlung steht in diesen Fällen auch nicht der Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB)[3] entgegen. Die Verteilung des wirtschaftlichen Risikos der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist im EFZG abschließend geregelt. Allein der Verstoß gegen arbeitsvertragliche, steuer- oder sozialversicherungsrechtliche Vorschriften führt nicht zu einer Veränderung des Verschuldensmaßstabs.

 

Rz. 89

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